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Man merkt, dass Österreich das Vorbild einer erfolgreichen Revolution abgeht. Sonst würde nicht alles dazu hochgeschrieben werden.
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Bisher stand die SPÖ ja quasi unter Kompetenzkompetenz-Generalverdacht. Das heißt: Zur konkreten Politik der Sozialdemokraten mag jeder stehen, wie er will, aber das Handwerk, die Grob- und Feinmechanik der Machterhaltung, das, so mussten bisher auch überzeugte "Sozifresser" zähneknirschend zugestehen, das beherrschen die Roten. Notfalls sogar im Schlaf. (Und ganz im Gegensatz zum Inkompetenzkompetenz-Generalverdacht, den urbane Lodenträger gerne dem ÖVP-Führungspersonal attestieren.)
Diese scheinbar in Stein gemeißelte Gewissheit soliden politischen SPÖ-Handwerks bringt derzeit eine Serie tollpatschiger Selbstfaller ins Wanken, die in jenen ominösen 83,43 Prozent kulminierten, die Werner Faymann beim jüngsten Parteitag bei der Wiederwahl zum SPÖ-Vorsitzenden das Vertrauen aussprachen.
Angesichts des daraufhin einsetzenden Gesuderes in der SPÖ, kräftig gewürzt mit kaum verhohlener Schadenfreude bei allen anderen, könnte man fast glauben, 83,43 Prozent hätten gegen Faymann gestimmt.
Die mediale Nachbetrachtung ist tatsächlich nicht ganz frei von einem gerüttelt Maß an Schizophrenie.
Von einem historischen Debakel, einer Schocktherapie, Watschn und vernichtendem Ergebnis für den Kanzler war da zu lesen, von Aufstand und Rebellion sogar.
Bei allem Respekt vor diesen 16,57 Prozent, die für solche Schlagzeilen gesorgt haben, die wahlweise als "feig, feig, feig" oder als stille Helden des Widerstands gegen eine nur vorgeblich linke Politik gefeiert wurden - eine Revolution schaut doch anders aus. 83,43 Prozent an Zustimmung liegen schließlich immer noch deutlich näher an den berühmt-berüchtigten 99 Prozent, die noch fast jeder autoritäre Führer für sich zu organisieren wusste, als an einer durchschnittlichen demokratischen Mehrheitsentscheidung unserer Zeit.
Es wäre höchst an der Zeit, dass die Parteien selbst damit beginnen, sich vom Selbstbildnis eines monolithischen Blocks zu befreien, wo jede abweichende Meinung als Häresie gebrandmarkt und Zustimmungsraten von unter 90 Prozent als Abwahl durch die Hintertür interpretiert werden. Funktionäre sind hochpolitisierte Menschen - warum sollte ausgerechnet diese rare Spezies in ihrer Meinungsfreiheit kastriert werden? Man muss - auch als Sozialdemokrat - Werner Faymann nicht als Inkarnation Bruno Kreiskys bejubeln, genauso wenig wie man Michael Spindelegger als überzeugter Schwarzer als Retter der Volkspartei verehren muss. (Bei Michael Häupl und Erwin Pröll ist das natürlich etwas anderes.)
Allenthalben erklären uns Soziologen und sogenannte Diversitätsmanager, wie mit einem komplizierten, vielfältigen, bunten Alltag im Job und Privatleben zurechtzukommen ist. Und ausgerechnet die politischen Obergescheiterln ergeben sich in tagelangen Debatten, nur weil sich ein paar Dutzend Delegierte erdreisteten, sich den Luxus einer eigenen, abweichenden Meinung zu gönnen.
Das ist, mit Verlaub, keine Revolution und kein Aufstand, sondern Normalität. Hoffentlich demnächst auch in der Politik.