Verkehrte Welt, in der Wichtiges weitgehend ignoriert und Unwichtiges aufgeblasen wird.
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Irgendwer sollte sich einmal eingehender mit dieser Frage beschäftigen: Weshalb wird ausgerechnet diejenige Ebene der Politik mit der größten öffentlichen Geringschätzung und Vernachlässigung gestraft, die die Lebensqualität der Menschen am stärksten mitbestimmt und wo noch dazu das Vertrauen der Bürger in ihre Repräsentanten weitgehend intakt ist?
2015 finden in sieben Bundesländern Kommunalwahlen statt: in Niederösterreich am 25. Jänner, spätestens im März folgen Vorarlberg, Steiermark (ohne Graz) und Kärnten, im Mai ist das Burgenland dran und schließlich im Herbst Oberösterreich und Wien. Doch sieht man von der Bundeshauptstadt ab, werden diese Urnengänge in praktisch allen nationalen Medien maximal als Randnotiz vorkommen. Dafür wird seit Wochen der erst Ende November anstehende SPÖ-Parteitag in einer Ausführlichkeit besprochen, dass man sich durchaus wundern könnte. Merkwürdigerweise nimmt eine zum Ritual erstarrte Zustimmungsinszenierung einen höheren Stellenwert ein als Entscheidungsprozesse, die die Lebensqualität von Millionen Bürgern bestimmen. Dazu passt, dass Stadt- und Gemeindepolitik, wieder von Wien abgesehen, das nicht nur Stadt und Land, sondern auch das politische Zentrum der Republik ist, in den politischen Kreisen nicht wirklich hoch angesehen ist. Und was die Medien meinen, davon legt der bemerkenswert abschätzige Begriff des Kanaldeckeljournalismus beredtes Zeugnis ab. Dieses Bild runden all die großen Geister mit politischem Ehrgeiz ab, die lieber eine Generalabrechnung mit der beständig um sich selbst rotierenden Bundespolitik formulieren, als sich mit den niederen Ebenen der Grätzlpolitik auseinanderzusetzen.
Kein Wunder, dass Prominente und Intellektuelle die unmittelbare Nachbarschaftsgestaltung als ziemlich unsexy empfinden. Dabei schlug der Kommunalpolitik hierzulande nicht immer diese öffentliche Ignoranz entgegen. Die Gemeindeselbstverwaltung war einst eine der wenigen handfesten Errungenschaften der Bürgerlichen Revolution von 1848, die 1862 ins Reichsgemeindegesetz Eingang gefunden hat. Das Bundes-Verfassungsgesetz von 1919 schreibt die Stellung der Gemeinden als Selbstverwaltungskörper mit eigenen und übertragenen Zuständigkeiten ausdrücklich fest. Und welche visionäre Umsetzungskraft die Kommunalpolitik tatsächlich entfalten kann, wenn der politische Wille dafür vorhanden ist, veranschaulicht das Wien der Zwischenkriegszeit recht eindrucksvoll. Nicht zuletzt deswegen haben sich auch die österreichischen Sozialdemokraten nie der Überzeugung der bundesdeutschen Linken angeschlossen, nach der Gemeindepolitik lediglich der Aufrechterhaltung des ungeliebten kapitalistischen Herrschaftssystems diene, angeschlossen.
Dennoch hat die Gemeindepolitik als Experimentierfeld für konkrete Lösungen konkreter Alltagsprobleme noch längst nicht abgedankt. Zumal unter der Bedingung, die Bürger auf diesem Weg nicht zu verlieren, sondern mitzunehmen. Man sollte glauben, dies ist das perfekte Biotop für politische Querdenker und Weltverbesserer, um ihre Ideen in Politik umzusetzen.
Weit gefehlt - und das ist ziemlich schade. Eine Imagekampagne für Kanaldeckelpolitiker tut not.