"Wiener Zeitung"-Podiumsdiskussion über den Klimawandel: Staatssekretär Brunner zuversichtlich, Publikum skeptisch.
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Die Ziele sind ambitioniert. 50 Prozent der Emissionen aus dem öffentlichen und Individualverkehr sollen bis 2030 eingespart werden.
"Das Regierungsprogramm gibt die Stoßrichtung vor", sagt Magnus Brunner, Staatssekretär im Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie. Das Publikum beurteilt die Maßnahmen als wichtig und richtig, zweifelt aber daran, dass derlei Vorhaben in einem derart kurzen Zeitraum auch umzusetzen wären. Für Ernüchterung sorgt schließlich Sigrid Stagl, Professorin für Umweltökonomie und Umweltpolitik an der Wirtschaftsuniversität Wien. Sie sagt: "Diese Maßnahmen werden bei Weitem nicht ausreichen."
Am Mittwochabend haben "Wiener Zeitung" und das Forschungsinstitut Sora zu einer - äußert kontroversiell geführten - Diskussionsrunde zum Thema "Klimakrise - Klimachancen. Stehen wir an einer Zeitenwende?" in die Österreichische Nationalbibliothek geladen.
"Niemand kommt daran vorbei: Eine junge Schwedin, demonstrierende Schülerinnen und engagierte Youtuber. Das Thema Klimaschutz ist in der Gesellschaft angekommen", sagte Christoph Hofinger; Chef des Forschungsinstituts Sora. "Diese Emotionalisierung, die Bewegungen wie Fridays for Future gebracht haben, sind ein wichtiger Aspekt für die Politik, denn Politik braucht Emotionen, braucht junge Menschen, die Stimmung machen. Dafür, dass Politiker dann auch Maßnahmen setzen, braucht es etwas Zeit."
Weniger begeistert von der Emotionalisierungswelle zeigte sich Sigrid Stagl, Professorin für Umweltökonomie und Umweltpolitik an der Wirtschaftsuniversität Wien: "Selbstverständlich braucht es Menschen auf der Straße, aber angesichts der Tatsache, dass Naturwissenschaften bereits seit 50 Jahren und Ökonomen, etwas zeitverzögert, seit 30 Jahren vor den katastrophalen Auswirkungen unseres Lebenswandels auf Klima und Umwelt warnen, ist es extrem frustrierend, dass Wissenschafter nicht gehört und wirtschaftliche Interessen vorrangig behandelt wurden."
Auch in der Frage, ob die Politik ausreichend Maßnahmen setze, um dem von Menschen gemachten Klimawandel entschieden entgegenzutreten, schieden sich die Geister.
Während Brunner erneut betonte, dass die aktuelle Bundesregierung nicht nur das Beste aus zwei Welten in sich vereine, sondern darüber hinaus im Regierungsprogramm auch zahlreiche, durchaus ambitionierte Maßnahmen setze, ist Ökonomin Stagl überzeugt, dass die Ziele, die man sich bis 2020, 2030, 2040 und auch 2050 gesetzt hätte, bei Weitem nicht ausreichen würden: "Umweltschutz und Maßnahmen gegen den Klimawandel dürfen niemals isoliert gesehen werden. Vielmehr braucht es eine sozialökonomische Transformation und keine, wie unter dem Schlagwort European Green Deal propagiert, weitere Wachstumsstrategie, die noch mehr soziale Ungleichheit schafft." Stagl plädierte darüber hinaus auch dafür, dass die reichen Industrienationen aufgrund ihrer historischen Verantwortung eine Vorreiterrolle bei der Reduktion der CO2-Emissionen übernehmen müssten, um den wirtschaftlich schwächeren Ländern im Süden so mehr Zeit einzuräumen, ihre Strukturen entsprechend zu adaptieren.
Marktwirtschaft ohne Ausbeutung
Christoph Hofinger zitierte in diesem Zusammenhang Karl Poppers offene Gesellschaft, in der von einer "Stückwerkspolitik" die Rede ist. Es würden lediglich kleine Schritte gesetzt, dies würde aber angesichts dessen, dass die reichen Industrienationen bislang nach dem Motto "nach uns die Sintflut" gelebt hätten, nicht ausreichen. "Die Marktwirtschaft hat noch nicht bewiesen, dass sie ohne Ausbeutung auskommt", sagte Hofinger. Europa hätte die Ausbeutung lediglich auf andere Kontinente verlagert.
"Wenn es heißt, dass Europa lediglich für zehn Prozent der weltweiten Emissionen verantwortlich ist, also im Unterschied zu China mit rund 30 Prozent oder den USA mit rund 15 Prozent eh gut dastehen würde, dann ist das nur die halbe Wahrheit. Europa zeichnet bestenfalls innerhalb seiner Grenzen für "nur" zehn Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich, der weitaus größere Anteil findet in Afrika und Asien statt, wo Europa für sich produzieren lässt", sagt Stagl.
Staatssekretär Brunner verwies darauf, dass Österreich im europäischen Kontext eine Vorreiterrolle übernehme, etwa was saubere Energie betreffe. Ganz ohne Wachstum würde Klimaschutz allerdings nicht realisierbar sein, so Brunner: "Das muss ja schließlich auch alles finanziert werden." Grundsätzlich sehe er, Brunner, optimistisch in die Zukunft: "Dieser Wandel wird uns allen Chancen bringen. Positive, keine negativen."
Die Bereitschaft der Politik, sich des Themas Klimapolitik ernsthaft anzunehmen, sieht Hofinger durchaus vorhanden: "Gerade etablierten Parteien, die im Laufe der Jahre von der einen oder anderen Sinnkrise nicht verschont geblieben sind, bietet dieses Thema die Möglichkeit, sich auf neue Ziele zu fokussieren. Türkis-grün ist so gesehen ein Kind der Klimakrise."
Durchaus kontroversiell verlief im Anschluss an die Podiumsrunde die Diskussion mit dem Publikum. Anwesend waren unter anderem Vertreter zahlreicher Interessensvertretungen und NGOs. Während die einen für mehr Gelassenheit plädierten, ging es den anderen nicht schnell genug. Viel Kritik einstecken musste dabei Staatssekretär Brunner.
Seine Replik: Man solle die Bundesregierung an ihrem ambitionierten Regierungsprogramm messen. Dass einige Maßnahmen, wie etwa das 1-2-3-Ticket etwas länger brauchen würden, läge in der Natur der Sache. Die Minister wären jedenfalls optimal untereinander vernetzt - "vom Bildungsministerium, das Bewusstseinsarbeit leisten würde, bis hin zum Landwirtschaftsministerium, das aktuell die 5G-Strategie vorbereitet" - und für die Herausforderungen der kommenden Jahre bestens gerüstet.