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US-amerikanische Rezepte für Europan: Direkte Bankenhilfe über den Rettungsschirm, Wachstum und niedrige Zinsen.
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Berkeley. Barry Eichengreen, Jahrgang 1952, lehrt seit Mitte der 1980er Jahre Volkswirtschaft und Politikwissenschaft an der kalifornischen Universität Berkeley. In den Neunzigern werkte der hoch angesehene Wissenschafter und Autor mit Spezialgebiet Internationale Finanzsysteme zwei Jahre lang als Chefberater des Internationalen Währungsfonds (IWF), dem er seitdem extrem kritisch gegenübersteht. Sein Interesse an der Entwicklung Europas - er ist einer der wenigen US-amerikanischen EU-Experten - kommt nicht von ungefähr: Barry Eichengreen ist der Sohn einer deutsch-jüdischen Holocaust-Überlebenden.
Die Wiener Zeitung sprach mit ihm im Rahmen einer jüngst von der Austrian Marshall Fund Foundation in Zusammenarbeit mit der Universität Berkeley ausgerichteten Konferenz zum Thema Euro-Krise: "The Future of the Euro: Lessons from History".
"Wiener Zeitung":Professor Eichengreen, wissen die USA, wie Europa aus der Krise kommt?Barry Eichengreen: Zuerst einmal ganz grundsätzlich: Die USA wollen, dass die europäische Wirtschaft wieder zu wachsen beginnt, schon aus reinem Eigeninteresse. Nachdem die interne Nachfrage in Europa stagniert, muss Europa seine Exporte ankurbeln. Deshalb könnte meiner Meinung nach ein schwacher Euro Teil der Lösung des Problems sein. Die Europäische Zentralbank muss ebenfalls zum Wirtschaftswachstum beitragen, indem sie die Zinsen niedrig hält.
Wie wird die Euro-Krise in den USA empfunden?
Hierzulande herrschen Frustration und Unverständnis darüber, dass Europa nicht mit einer Sprache spricht. Der allgemeine Eindruck ist, dass die Probleme nicht geschlossen angegangen werden. Die US-Amerikaner verstehen zudem nicht die Geduld der Europäer mit ihren jeweiligen Regierungen. Als bei uns das Ausmaß der Finanzkrise klar geworden war, haben wir sofort die Partei abgewählt, die uns in diese Krise geführt hat. Während sich die Europäer mit ihren Entscheidungen Zeit ließen, wurde in den USA der politische Prozess zur Bewältigung der Krise viel schneller in Gang gesetzt.
Die EU ist ein weitaus komplexeres Gebilde als die USA . . .
. . . ja, aber das ändert nichts an der Tatsache, dass man sich den Problemen stellen muss. Mein persönlicher Eindruck ist, dass die meisten Europäer noch immer nicht wirklich begriffen haben, wie schwerwiegend diese Krise ist. Das Wirtschaftswachstum der Eurozone liegt bei annähernd null, während es in den USA mittlerweile wieder zwischen zwei und drei Prozent liegt. Die Zahl der Arbeitslosen in der EU ist heute fast doppelt so hoch wie in den USA. Unser Bankensystem ist sicher nicht perfekt, aber es funktioniert. Das europäische dagegen ist kaputt, weil die Banken sich weiterhin weigern, Kredite zu geben. Ganz egal, welche Maßnahmen die EZB ergreift.
Ganz konkret: Wenn Sie der amerikanische Arzt wären, dem der Patient Europa in die Praxis geschoben wird - was würden Sie ihm verschreiben?
Ich würde mich an den Rat meiner Frau halten, die tatsächlich Ärztin ist. Sie würde sagen: Lasst uns keine Zeit verlieren und sofort die stärkste Medizin zur Heilung der Krankheit verabreichen, die es gibt, auch wenn es wehtun wird - um die Nebenwirkungen können wir uns später kümmern. Lasst uns erst mal Dinge wie die Tobin Tax, die Finanztransaktionssteuer und andere Steuermaßnahmen dieser Art vergessen und uns auf das Wesentliche konzentrieren. Das sind in diesem Fall die Banken. Insofern lässt sich Ihre Frage mit drei Worten beantworten: Fix the banks. Bringt die Banken in Ordnung. Alles andere ist derzeit nebensächlich. Die Banken brauchen mehr Kapital, so schnell und unbürokratisch wie möglich. Das heißt konkret: direkte Bankenhilfe durch den Europäischen Stabilitätsmechanismus. Damit einhergehend müssen die EU-Mitgliedsländer makroökonomische Maßnahmen setzen, die das Wachstum fördern. Nummer drei: Die EZB in Sachen Wachstum in die Verantwortung nehmen, sprich niedrige Zinsen (während der Leitzins der US-Notenbank bei 0 bis 0,25 Prozent ist, liegt jener der EZB bei 0,5 Prozent, Anm.).
Zumindest in der Rollenverteilung im Krisentheater herrscht in Europa wie in der USA Einigkeit: auf der einen Seite die Geber aus dem Norden, auf der anderen die Nehmer im Süden. Wie sehen Sie solchen Zuweisungen?
Mit dem moralischen Zeigefinger zu wedeln ist angesichts des Ernstes der Situation wenig zielführend. Die Südeuropäer geben den Deutschen auch deshalb die Schuld an der Krise, weil die Deutschen ihnen die alleinige Schuld dafür in die Schuhe schieben wollen. In Wahrheit haben alle Beteiligten dazu beigetragen. Dass zum Beispiel Zypern ein sicherer Hafen für Geldwäscher ist und ein Problem mit seinem Bankensystem hat, wussten die Deutschen schon lange. Und trotzdem haben sie, aus politischen Gründen, dafür gestimmt, die Insel in die Eurozone aufzunehmen. Aber der Punkt ist doch, dass all diese Diskussionen jetzt müßig sind. Jetzt ist die Zeit gekommen, die Probleme zu lösen. Dafür braucht es Führungsstärke aus dem Norden. Die zu zeigen ist jetzt die Aufgabe von Ländern wie Deutschland, Österreich oder Finnland. Sie müssen jetzt Farbe bekennen, wie viel ihnen die EU und ihre Stabilität wirklich wert sind, und entsprechende Investments tätigen.
Auch aus historischer Verantwortung?
Länder wie Deutschland und Österreich haben enorm von der Mitgliedschaft in der EU und der Eurozone profitiert. Insofern halte ich das Argument für fragwürdig, dass diese Länder "genug" an den Süden gezahlt haben. Ich glaube, dass Länder wie Deutschland und Österreich die nötigen Investments in Europa weniger aus historischer Pflicht denn aus ganz eigennützigen Gründen tätigen sollten. Der Reichtum des Nordens wurde auch vom Süden erwirtschaftet. Das sollte niemand vergessen.