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Eidgenossen und Genossenschafter

Von Holger Blisse

Recht
Berner Kommentar: Obligationenrecht - Die Genossenschaft </b>herausgegeben von Sabine Kilgus und Nadja Fabrizio; Berner Stämpfli Verlag; 858 Seiten; 455 Euro; ISBN: 978-3-7272-1605-3

Der erste Band des "Berner Kommentars" zum Genossenschaftsrecht in der Schweiz ist in einer bearbeiteten Neuauflage erschienen.


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In der Schweiz gibt es, anders als in Österreich oder Deutschland, kein eigenes Genossenschaftsgesetz. Die Vorschriften finden sich heute in den mit Deutsch, Französisch und Italienisch dreisprachigen Artikeln 828 bis 926 des Obligationenrechts (OR), das 1881 in Kraft trat und 1936 grundlegend revidiert wurde.

So große Genossenschaften wie Coop oder Migros im Lebensmitteldetailhandel sind weit über die Eidgenossenschaft Schweiz hinaus bekannt und zählen Mitglieder im Bereich von mehr als zwei Millionen. Ähnlich mitgliederstark sind die Bankengruppe Raiffeisen Schweiz und die Versicherungs- und Vorsorgegenossenschaft Schweizer Mobiliar. Mit etwa 8.400 Genossenschaften, darunter mehr als 1.200 gemeinnützige Wohnbaugenossenschaften, arbeitet in der Schweiz 1 Prozent aller Unternehmen in dieser Rechtsform, eine recht hohe Zahl im Vergleich zur (Bevölkerungs-)
Größe (in Österreich sind es 1.800, in Deutschland 7.700).

Mit einer systematischen Darstellung und dem Auftakt der Kommentierung (Artikel 828 bis 838 im Obligationenrecht) legen die Herausgeberinnen die zweite, völlig neu bearbeitete Auflage des "Berner Kommentar"-Bandes zur Genossenschaft vor: Sabine Kilgus ist Titularprofessorin an der Universität St. Gallen, Rechtsanwältin in Zürich und an der dortigen Universität Privatdozentin für Privat- und Wirtschaftsrecht, insbesondere Finanzmarktrecht; Nadja Fabrizio arbeitet als Wissenschaftliche Oberassistentin und Leiterin der Kompetenzstelle Genossenschaftsrecht an der Universität Luzern. Verfasst wurde die erste Auflage (1972/1974) von Peter Forstmoser, inzwischen emeritierter ordentlicher Professor für Privat-, Handels- und Kapitalmarktrecht der Universität Zürich und Rechtsanwalt in Zürich. Er hat die zweite Auflage "als Mentor begleitet und unterstützt".

Den beiden Herausgeberinnen gelingt es zusammen mit Tizian Troxler und unter Mitarbeit von Melanie Köpfli sehr überzeugend, sowohl die rechtlichen Regelungen zu erläutern und einzuordnen als auch den Blick auf die Genossenschaft zu erweitern.

Verständlich, übersichtlich und sorgfältig

Zum einen umfasst der systematische - erste - Teil (430 Seiten) des Bandes einen entwicklungs- und ideengeschichtlichen Zugang. Die wirtschaftliche Bedeutung der Genossenschaften in der Schweiz wird entwickelt, und es werden Grundzüge des schweizerischen Genossenschaftsrechts, Sonderregelungen für spezialgesetzlich regulierte Genossenschaften und die Besteuerung der Genossenschaften behandelt. Zudem wird das Recht mit jenem in Großbritannien (Ian Snaith), Deutschland (Hans-H. Münkner), Österreich (Markus Dellinger und Julia Schellner), Liechtenstein (Märten Geiger) und Italien (Antonio Fici) verglichen.

Zum anderen kommentiert der zweite Teil die Artikel 828 bis 838 des Obligationenrechts. Dies leisten die beiden Herausgeberinnen arbeitsteilig allein beziehungsweise zusammen. Der dreisprachige Abstimmungsprozess und ein eigenes Genossenschaftsverständnis haben zu einer präzisen und seit der großen Revision 1936 weitgehend unverändert gebliebenen rechtlichen Grundlage geführt. In Bezug auf die Definition einer Genossenschaft wurde aber zum Beispiel der Artikel 828 des Obligationenrechts im Jahr 2017 liberaler gestaltet.

Dieser Kommentarband ist sehr verständlich geschrieben, übersichtlich und sorgfältig gestaltet. Ein Gesetzeskommentar vermittelt nicht nur zwischen dem geschriebenen Recht und seiner praktischen Anwendung, sondern lädt immer auch ein, das jeweilige Rechtsverständnis in Nachbarländern zu schärfen. Daher sei dem Werk auch über die Landesgrenzen der Schweiz hinaus ein großer Leserkreis gewünscht.