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Eidgenössisches Asylvotum

Von Alexander U. Mathé

Politik

Bei der Parlamentswahl in der Schweiz dreht sich alles um das Thema Flüchtlinge.


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Bern/Wien. Wenn die Schweizer am Sonntag ein neues Parlament wählen, dann sind sie vor allem über ein Thema bestens informiert: die Flüchtlingspolitik. Kein anderes Thema beschäftigte Medien, Politiker und Wahlvolk in den letzten Wochen und Monaten mehr. Angesichts des Migrantenandrangs in Europa scheint das zwar naheliegend, dennoch sorgt es für Erstaunen. Denn die Schweiz gehört zwar pro Kopf gerechnet zu den europäischen Spitzenreitern bei Asylerstanträgen, doch verglichen mit Österreich und Deutschland ist sie von den aktuellen Flüchtlingsströmen kaum betroffen. Experten sprechen von einer "Scheindebatte". Mehr noch: Offenbar wurde der Wahlkampf mit deutscher Politik ausgetragen.

"Die deutsche Kanzlerin, Angela Merkel, ist wahrscheinlich die präsenteste Politikerin im Schweizer Wahlkampf. Jeder Satz von ihr und jedes Prozent Zustimmung oder Ablehnung wird in der Schweiz registriert", erklärt Claude Longchamp vom Meinungsforschungsinstitut gfs.bern gegenüber der "Wiener Zeitung". Das, obwohl es eigentlich eine inoffizielle Absprache unter den Parteien gab, keinen Wahlkampf mit Flüchtlingen zu machen. Der Tenor war, erklärt Longchamp, Auseinandersetzungen nicht auf dem Rücken jener auszutragen, die sich nicht wehren können. Doch die nationalkonservative Volkspartei (SVP) machte schließlich massiv Stimmung gegen Asylwerber. Das "Asylchaos explodiert" erklärte sie und forderte ein einjähriges Asylmoratorium sowie geschlossene Zentren für sogenannte "renitente Asylsuchende".

Geschadet hat ihr das nicht, sollten die letzten Umfragen recht behalten. Dem Wahlbarometer von gfs.bern zufolge kommt die SVP auf 27,9 Prozent (+1,3) der Stimmen, die Sozialdemokraten (SP) auf 19,2 (+0,5), die liberale FDP auf 16,7 (+1,6) und die konservative CVP auf 11,5 (-0,8).

Für besondere Spannung sorgt die kleine Bürgerlich-Demokratische Partei (BDP), der 4,6 Prozent der Stimmen (-0,4) prognostiziert werden. Denn eigentlich ist die BDP im Schweizer System überbewertet. Dieses sieht nämlich eine Konkordanzregierung der stärksten Parteien vor. Je zwei Minister stellen die SP sowie die FDP; lediglich einen Minister haben die SVP, die CVP und eben die BDP. Die Volkspartei beansprucht für sich einen zweiten Ministerposten auf Kosten der Bürgerlichen - vertreten durch Eveline Widmer-Schlumpf - und hofft dies bei der Wahl des Bundesrats - wie die Regierung in der Schweiz heißt - durch das neu gewählte Parlament im Dezember durchzusetzen.

Doch auch wenn die Prognosen günstig aussehen, könnte es dafür unterm Strich nicht reichen. "Alle gehen von einer Entwicklung nach rechts im Nationalrat aus, über das Ausmaß wird aber noch viel spekuliert", so Longchamp. Denn ausständig und nicht absehbar ist die Besetzung des Ständerats, der zweiten - gleichberechtigten - Parlamentskammer. Und dort gehe der Trend wiederum eher nach links.

Atomausstieg der Schweiz hängt von BDP-Ministerin ab

Zusätzliche Brisanz erhält das Thema Widmer-Schlumpf dadurch, dass sie das Zünglein an der Waage beim Schweizer Atomausstieg ist. Sie ist eine Befürworterin der Energiewende und sichert im Bundesrat die Mehrheit. "In der Regierung steht es drei zu drei und sie ist die entscheidende Stimme", erklärt Longchamp. "Von links, den Grünen und der CVP, die die Energiewende befürworten, gibt es daher ein Interesse, dass Frau Widmer-Schlumpf bleibt." Umgekehrt gebe es natürlich ein Interesse von rechts, dass Widmer-Schlumpf nicht mehr gewählt werde und damit auch die jahrzehntelange Diskussion um die parteiliche Zusammensetzung der Regierung beendet werde.

Die meisten Experten gehen davon aus, dass es sich nicht ausgehen wird, Widmer-Schlumpf aus dem Amt zu drängen. Das wäre grundsätzlich auch ein Tabubruch in der Schweiz, wo Bundesräte - abgesehen von Notfallsituationen - stets bestätigt werden. Die SVP wäre von einer weiteren Regierungsperiode als stimmenstärkste Partei mit nur einem Ministerposten jedenfalls nicht begeistert. Der Abgeordnete und SVP-Vizefraktionschef Felix Müri drohte im Vorfeld sogar mit dem ungewohnten Gang in die Opposition. Sollte Widmer-Schlumpf wiedergewählt werden, werde seine Partei aus der Regierung ausscheiden. Allerdings ruderte die Parteiführung umgehend zurück. Das habe nichts mit der Realität zu tun, erklärte SVP-Präsident Toni Brunner via "Neue Zürcher Zeitung".