Der Regierung in Warschau fällt es schwer, ihren Landsmann Donald Tusk für eine zweite Amtszeit zu unterstützen.
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Brüssel. Es war ein etwas skurriles Gerücht. Dass nämlich der polnische EU-Abgeordnete Jacek Saryusz-Wolski seinen Landsmann Donald Tusk auf dem Posten des EU-Ratspräsidenten ablösen könnte, ist gleich aus mehreren Gründen unwahrscheinlich. Zum einen kann Tusk, dessen erste Amtszeit im Mai ausläuft, auf den Rückhalt der meisten Regierungen zählen. Zum anderen muss sein Nachfolger keineswegs aus demselben Land kommen wie er: Die Berufung des Ratspräsidenten erfolgt nach anderen Regeln als die von EU-Kommissaren, die der jeweilige Mitgliedstaat nominiert. Außerdem waren sowohl Tusk als auch sein Vorgänger, der Belgier Herman Van Rompuy, Ministerpräsidenten, während Saryusz-Wolski zwar auf jahrelange Erfahrung im EU-Abgeordnetenhaus und in Polen als Minister sowie Spitzenbeamter verweisen kann, doch Regierungschef war er nicht.
Dennoch scheint das Kabinett in Warschau ihn für die Nachfolge Tusks in Betracht zu ziehen. Premier Beata Szydlo sondiere bereits unter EU-Amtskollegen, ob diese zu der Personalrochade bereit wären. Das berichtete die britische Zeitung "Financial Times" und berief sich dabei auf Diplomaten, die anonym bleiben wollten. Das polnische Blatt "Gazeta Wyborcza" griff die Meldung auf.
Unter den polnischen EU-Mandataren sorgte dies für einige Verwirrung. Abgeordnete der liberal-konservativen Bürgerplattform (PO) baten ihren Parteikollegen um eine Stellungnahme. Auch in Warschau lösten die Berichte Verwunderung aus. PO-Vorsitzender Grzegorz Schetyna wollte von Saryusz-Wolski eine Erklärung. Denn dieser gehört der Oppositionsfraktion an, nicht der national-konservativen Regierungspartei PiS (Recht und Gerechtigkeit), die die Kandidatur lancieren soll. Saryusz-Wolski selbst hielt sich gestern, Dienstag, mit Kommentaren zurück.
Doch auch wenn es sich um Spekulationen handelt, zeigt das, wie schwer es der Regierung in Warschau fällt, ihren Landsmann Tusk zu unterstützen. Polens Ex-Premier galt als eine der größten politischen Herausforderungen für PiS-Vorsitzenden Jaroslaw Kaczynski. Dass Tusk nach Brüssel gegangen ist, könnte Kaczynski also eher beruhigt haben.
Trotzdem setzte er seine Angriffe fort. Zum einen kritisieren er und seine Partei, dass Tusk sich zu wenig für polnische Anliegen einsetze, auch wenn das nicht die Rolle des Ratspräsidenten ist, der die EU-Gipfeltreffen einberuft und leitet. Zum anderen gibt es Andeutungen aus den PiS-Reihen, dass ehemalige Regierungsmitglieder - inklusive Tusk - zur Verantwortung gezogen werden sollten für angebliche Versäumnisse bei der Aufklärung eines Flugzeugabsturzes 2010. Dabei sind 96 Menschen umgekommen, darunter der Zwillingsbruder des PiS-Vorsitzenden, der damalige Staatspräsident Lech Kaczynski.
Die Gerüchte um die Ablöse des Ratspräsidenten sind daher eher als innenpolitisches Gerangel zu betrachten. In Brüssel hingegen hat Tusk weit mehr Unterstützung. Eine Blockade der Verlängerung seiner Amtszeit ist auch nicht von den Sozialdemokraten im EU-Parlament zu erwarten. Die hatten zwar Einwände geäußert, dass zu viele Spitzenposten mit Christdemokraten besetzt sind. Aber einen eigenen Vorschlag für Tusks Nachfolge haben sie nicht präsentiert.