Bei der Klimastrategie müssen Österreichs Parlament, Wirtschaft und Bevölkerung an einem Strang ziehen.
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Die Wahl ist geschlagen. Jetzt geht es ans Bohren harter Bretter, nämlich an die Entwicklung einer sozial gerechten, ökonomisch innovativen und dem Pariser Abkommen entsprechenden Klimastrategie. Das Parlament hat kurz vor der Wahl - mit Ausnahme der FPÖ - den "climate emergency" (um das harsche Wort "Klimanotstand", anders als eine Reihe fortschrittlicher Gemeinden, zu vermeiden) ausgerufen. Die wahlwerbenden Parteien haben ihre Klimastrategien in sehr unterschiedlicher Qualität und Ambition vorgestellt.
Nun geht es darum, keine hochtrabenden Worte mehr zu wechseln, sondern zu handeln. Die Klimaforscher haben weltweit die Dringlichkeit effektiven Handelns überdeutlich gemacht. Wirbelstürme, Überschwemmungen, Dürreperioden, Muren, Gletscherschmelzen und Hitzeperioden haben uns allen gezeigt, dass auch wir in den gemäßigten Klimazonen direkt betroffen sind; die Schüler mit ihren Klimastreiks und Freitagsdemos beschämen die Handlungsschwäche der Politik und haben zur weitreichenden Bewusstseinsbildung über die Ernsthaftigkeit der Klimakrise beigetragen: Jetzt muss endlich gehandelt werden!
Österreichs Klimaplan, den die erste Regierung unter Sebastian Kurz der EU vorlegte, muss auf deren Anweisung hin von der nächsten Regierung massiv überarbeitet werden. Diese Notwendigkeit sollte positiv genutzt werden. Die CCCA-Gruppe von Umweltforschern an den Universitäten und der Akademie der Wissenschaften (Climate Change Center Austria) hat am 9. September einen sehr detaillierten "Referenzplan" vorgelegt, der Sektor für Sektor klimanotwendige Aktivitäten samt Maßnahmen vorschlägt. Er sollte der Regierung als Grundlage für eine österreichische Klimastrategie dienen, die Hand und Fuß hat und internationale Glaubwürdigkeit wiederherstellt. So detailliert und relevant dieser Referenzplan ist, fehlen ihm zwei wichtige Elemente: eine Überprüfung auf Sozialverträglichkeit der Maßnahmen und eine operationale Dimension, also die Art der konkreten Umsetzung.
Drei Präsidentenund später ein Kanzler
Am Beginn sollte sehr bald nach Konstituierung des neuen Parlaments eine Auftaktveranstaltung auf Ebene der Bundesversammlung (Nationalrat und Bundesrat) stehen, die eine gemeinsame Initiative von Bundespräsident, Nationalratspräsident und Bundesratsvorsitz trägt, die nach der Regierungsbildung durch den Kanzler zu ergänzen ist, um den großen politischen Stellenwert sichtbar zu machen. Dazu wären National- und Bundesratsabgeordnete, Städte- und Gemeindebund, Zivilgesellschaft (inklusive Sozialpartner), Arbeitnehmer/Konsumenten, Unternehmer und Experten zu laden. Die Veranstaltung sollte das allgemeine Bewusstsein über die Notwendigkeit einer effektiven Klimastrategie erhöhen, aber auch die Grundlage für ein Regierungsprogramm bilden sowie vor allem auch definieren, mit welchen Umsetzungsschritten in welchem Zeitrahmen auf welchen Gebietsebenen diese Strategie vorangetrieben werden soll. Sie kann aber nur Rahmen setzen und die weiteren Schritte Verantwortlichen zuteilen.
Ausgangspunkt sollte eine Art Öko/Klima-Kassasturz sein, eine Bestandsaufnahme der jeweiligen laufenden und geplanten rechtlichen und wirtschaftlichen Vorhaben in Bezug auf ihre Klima- und Umweltauswirkungen. In einem weiteren Schritt sollten schon bestehende Maßnahmen einbezogen werden. Es geht nicht zwangsweise um absoluten Vorrang für Klimaziele vor sozialen und ökonomischen Zielen, aber um eine Diskussion über Zielkonflikte und deren Lösung. Derzeit führt in der Trias Ökonomie/Soziales/Ökologie Letztere ein Aschenputtel-Dasein (siehe etwa die Fristsetzung für Umweltverträglichkeitsprüfungen bei Großprojekten, ab der der Wirtschaftlichkeit automatisch der Vorrang zu geben ist). Grundlage einer Strategie sollte - in Anlehnung an den hippokratischen Eid in der Medizin - sein, absolut nichts zu tun, was dem Patienten - in diesem Fall der Umwelt und dem Klima - schadet.
Eine umfassende ernstzunehmende Klimastrategie bedeutet einen Paradigmenwechsel in Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik. Die vorrangige Behandlung von Umwelt- und Klimaproblemen erfordert, den derzeitigen Vorrang ökonomischer Interessen hintanzustellen sowie ökologischen und sozialen Problemen Priorität zu geben, ohne ökonomische und soziale Interessen zu vernachlässigen. Dies erfordert, über den derzeitigen Hype hinaus, eine tiefgehende Unterstützung durch die Bevölkerung, die in die Erarbeitung der Strategie und ihre Umsetzung nicht nur eingebunden, sondern durch eine intensive Aufklärungskampagne durch Bundes-, Landes- und Gemeindepolitik überzeugt werden muss, dass Klima- und Umweltfragen jeden Einzelnen betreffen und die Unterstützung jedes Einzelnen benötigen. Fühlt sich die Bevölkerung nicht in die Erarbeitung und die Umsetzung der Strategie eingebunden, werden große Teile immer wieder versuchen, sich aus der Verantwortung zu nehmen und geplante Maßnahmen zu umgehen.
Ein Öko-Regierungsprogramm mit freiwilligem Rahmenvertrag
Das nächste Regierungsprogramm muss einer sozialverträglichen Klimastrategie überragende Priorität einräumen. Es kann zwar nur die Eckpunkte und einen Zeitplan mit Meilensteinen zur Erreichung der Dekarbonisierung festlegen, muss jedoch auch dahin wirken, dass die Klimastrategie auf Bundesebene nicht nur die Aufgabe eines Ministeriums ist, sondern alle Ministerien und deren Aufgabenbereiche betrifft. Es soll sich dabei am Vorschlag der EU-Kommission zum mehrjährigen Finanzrahmen 2021 bis 2027 orientieren, der neben einer Erhöhung der Dotierung für Klimaprobleme (um 60 Prozent auf 5,3 Milliarden Euro) auch vorschlägt, in jedem einzelnen EU-Programm 25 Prozent der Dotierung für klimarelevante Probleme zu verwenden. Das Regierungsprogramm soll auch festlegen, dass Bund, Länder und Gemeinden sich in einem freiwilligen Rahmenvertrag verpflichten, in ihrem je eigenen Wirkungsbereich für die effektive Umsetzung der gemeinsamen Klimastrategie zu sorgen.
Ebenso wie die künftige Präsidentin der EU-Kommission einen eigenen Vizepräsidenten für Klima- und Umweltfragen ernannt hat, sollte auch Österreichs nächster Kanzler einen Vizekanzler mit der Koordinierung der Klimastrategie über alle Ministerien und Gebietskörperschaften einsetzen. Kurz’ Ansage, den Klimaschutz zur "Chefsache" zu erklären, ist aufgrund der bisherigen Aktivitäten seiner Regierung nicht glaubhaft, darüber hinaus aber auch ressourcenmäßig vom Bundeskanzler neben seinen vielen anderen Aufgaben nicht zu bewältigen. Ein Vollzeit-Vizekanzler wäre mit den Koordinierungsaufgaben mehr als ausgelastet.
Öko- und Klimatests bei finanziellen Ausgaben
Zudem wäre im nächsten Finanzministerium ein Staatssekretär zu bestellen, dessen alleinige, aber große Aufgabe es wäre, alle Aktivitäten des Ministeriums, vor allem aber die Finanzströme auf der Ausgaben- und Einnahmenseite, auf ihre Öko- und Klimatauglichkeit zu überprüfen, aber auch eine öko-soziale Steuerreform, eventuelle Zoll-Ausgleichsabgaben und andere finanzielle Instrumente beziehungsweise Regulierungen im Finanzsektor zu planen. Damit wären bei der Budgeterstellung die Ausgaben der anderen Fachministerien einem Öko- und Klimatest zu unterziehen und sollten je nach ihrer Tauglichkeit, die Klimaziele zu erreichen, forciert oder reduziert oder gestrichen werden.
Aus der CCCA-Gruppe soll ein Monitoring-Beirat ernannt werden, der laufende Kontrolle über die einschlägigen Öko- und Klimaaktivitäten der Gebietskörperschaften (und der Privatwirtschaft) ausübt und einmal im Jahr der Bundesversammlung über die Fortschritte bei der Erreichung der Klimaziele berichtet sowie Vorschläge zur Verbesserung macht.
Unzählige Studien stützen den internationalen Konsens der Wissenschaft, dass die Klimakrise an einem äußerst kritischen Punkt angelangt ist, bei dem jede Maßnahme und jedes Jahr eine wichtige Rolle spielen. Viele Maßnahmen stehen im Raum, oft allerdings widersprechen sie einander, duplizieren einander oder lassen auch Lücken offen. Daher ist eine einheitliche Strategie über alle Bereiche von Wirtschaft und Gesellschaft notwendig. Der CCCA-Referenzplan teilt seine Maßnahmen in sofort notwendige und später umzusetzende ein. Viele Bereiche der Umweltkrise sind bereits an der Kippe.
Mit der einmaligen Erstellung einer Klimastrategie wird es freilich nicht getan sein: Ihre periodische Überprüfung und Erneuerung muss Teil des Strategie- und Umsetzungsplans sein. Die Zeit ist reif, das Klima kippt, das Bewusstsein der Bedrohung in der Bevölkerung eröffnet die Möglichkeit der politischen Umsetzung. Handelt die Politik jetzt nicht, macht sie sich der Unterlassung und der Zerstörung der Lebensgrundlagen der Bevölkerung schuldig.