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Alfred Gusenbauers Hang zum Fettnapf ist legendär. Aber bislang durfte man vermuten, hinter den tollpatschigen Medienauftritten verberge sich ein kluger Kopf, der sich nur nicht richtig "verkaufen" kann. Mit seinem Zickzack Kurs in der Frage der Zweidrittelmehrheit bei Schulgesetzen hat er nun auch sein Talent zu strategischen Fehlentscheidungen unter Beweis gestellt. Er wollte es besonders elegant anlegen, hat sich aber selbst überdrippelt und am Ende ein Eigentor erzielt.
Nach PISA waren die Eckpfeiler der konservativen Bildungspolitik ins Wanken geraten. Erstmals gab es empirische Daten über die Leistungsfähigkeit der unterschiedlichen Schulsysteme innerhalb der OECD. Alle PISA Spitzenreiter haben gut ausgebaute Gesamtschulsysteme, während die wenigen Länder, die auch im 21. Jahrhundert an einer frühzeitigen Trennung der Schullaufbahn festhalten (Österreich, Deutschland, Schweiz) unterdurchschnittlich abschneiden. Die Killerphrase von der "Nivellierung nach unten", mit der die Gesamtschule jahrzehntelang diskreditiert wurde, löste sich vor aller Augen in Schall und Rauch auf. Auch Teile der ÖVP und der Kirche signalisierten eine ideologische Öffnung. Aber in der ÖVP setzten sich die kompromisslosen Gegner der Gesamtschule durch, auch wenn diese Politik nicht länger eine Mehrheit findet. Zum Glück gibt es das Zweidrittelerfordernis, mit dem eine Minderheit dem Land Stillstand aufoktroyieren kann. Kein Wunder, dass die ÖVP an dieser Bestimmung festhalten wollte, als alle anderen Parteien, aber auch die Medien mehr Beweglichkeit in der Bildungspolitik forderten.
Der öffentliche Druck sorgte schließlich dafür, dass die ÖVP nachgab. Das wichtigste Resultat des "Bildungsgipfels" vom vergangenen Februar war die Absichtserklärung der großen Regierungspartei, alle Schulfragen künftig mit einfacher Mehrheit beschließen zu lassen. Hätte die SPÖ einen Funken Verstand gehabt, hätte sie diesen Rückzug des politischen Gegners als Erfolg der eigenen Politik dargestellt und ihre volle Energie auf die unausweichliche Strukturdebatte gelenkt. Aber diese Chance wurde kläglich verspielt.
Gusenbauer machte einen Rückzieher und begann zu verteidigen, was er noch kurz zuvor bekämpft hatte. Die rea-len Probleme der Bildungspolitik erschienen ihm plötzlich zu einfach und er begab sich auf die Suche nach fiktiven. Keine Partei, die die nächsten Wahlen überleben möchte, wird ein Schulgeld einführen, aber die SPÖ will die gebührenfreien Schule partout in der Verfassung verankern. Einer fixen Idee opferte sie die Manövrierfähigkeit in den Schlüsselfragen der Bildungspolitik. Zu allem Überdruss begann Gusenbauer noch mit der Kirche zu flirten und schwang sich zum Retter des Konkordats auf. Von der Spargel- zur Weihrauchkoalition.
Gehrer hat ihre Gelegenheit sofort erkannt und genutzt. Schulgeldfreiheit in der Verfassung? Kein Problem, stand ohnehin nie zur Debatte. Aber um den Preis, dass auch für die Gesamtschule die Zweidrittelbarriere erhalten bleibt.
Die SPÖ steht jetzt da wie ein begossener Pudel und will zur ursprünglichen Forderung - bedingungslose Beseitigung des Zweidrittelerfordernis - zurück. Ob sich dieses window of opportunity sobald wieder öffnet?
Der Autor ist Leiter der Abteilung "Hochschulforschung" der Fakultät für Interdisziplinäre Forschung und Fortbildung (IFF) an der Universität Klagenfurt.