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Ein Abgang, der an den Gorbatschows erinnert

Von Tobias Schmidt und Uwe Käding, AP

Politik

Am Ende des wochenlangen Machtkampfes in Georgien erinnerte der von der Opposition triumphierend gemeldete Rücktritt von Präsident Eduard Schewardnadse an den von Boris Jelzin 1991 herbeigeführten Abgang seines einstigen Mentors Michail Gorbatschow. Schewardnadse unterzeichnete am Sonntag in seiner Residenz die ihm ultimativ vorgehaltene Rücktrittserklärung, nachdem nach wochenlangen Protesten klar geworden war, dass er nicht mehr die Unterstützung des Volkes hatte.


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Gorbatschow wurde in jenem Sommer 1991 von Jelzin im Parlament gezwungen, die Auflösung der Sowjetunion zu unterzeichnen. Damit besiegelte er seine Entmachtung; bis zu seinem offiziellen Rücktritt am 25. Dezember hatte er politisch keine Vollmachten mehr. Schewardnadse hatte bereits vor dem Putsch die KPdSU verlassen und sein Außenministeramt niedergelegt.

Als sowjetischer Chefdiplomat hatte er eine zentrale Rolle bei der deutschen Wiedervereinigung und der Auflösung des Warschauer Paktes gespielt, die wie bei einem Dominoeffekt die kommunistischen Systeme von Polen bis Bulgarien zusammenstürzen ließ. Schon früh hatte er sich für eine politische Führung in seiner Heimat Georgien vorbereitet. Und wieder ähnlich wie bei Gorbatschow hatte Schewardnadse auf Grund seiner historischen Verdienste im Westen mehr Kredit als bei der eigenen Bevölkerung.

Am Samstag wurde er nun von der wütenden Opposition aus dem Parlament vertrieben. Als seine Leibwächter den 75 Jahre alten Mann aus dem Gebäude führten, geriet er gleich mehrmals ins Stolpern. Gleichwohl blieb er unbeugsam. "Ich werde nicht abtreten, bevor meine Amtszeit verfassungsgemäß endet", erklärte er da noch. Am Sonntag gab er dem Druck seiner Gegner nach.

Im Juli 1985 berief ihn Michail Gorbatschow in sein Kabinett, in den folgenden fünfeinhalb Jahren formte Schewardnadse die neue sowjetische Außenpolitik. Noch vor dem Auseinanderbrechen der Sowjetunion Ende 1991 verließ er die Kommunistische Partei (KPdSU). Als orthodoxe Kommunisten den Staatspräsidenten Gorbatschow im August 1991 aus dem Kreml putschen wollten, stellte sich Schewardnadse auf die Gegenseite. Er kritisierte Gorbatschow anschließend, weil der in der Krise Moskau verlassen hatte.

Im Frühjahr des Folgejahres kehrte er - auch auf Anraten des deutschen Außenministers Genscher - in das unabhängige Georgien zurück, das im Bürgerkrieg zu versinken drohte. Im Herbst 1992 wurde Schewardnadse als einziger Kandidat mit 95 Prozent der Stimmen zum Präsidenten gewählt und nutzte seine Macht zunächst, um die Milizenchefs, die ihn eigentlich als Marionette benutzen wollten, zu entmachten. Seitdem versuchte er, das Land aus Russlands Schatten zu lösen und engere Beziehungen mit dem Westen zu schließen. Er dachte laut über eine NATO-Mitgliedschaft Georgiens nach und erreichte 1999 die Aufnahme seines Landes in den Europarat.

Nachdem Schewardnadse den Krieg mit den Separatisten in der Schwarzmeerprovinz Abchasien Anfang der 90er Jahre verloren hatte, schaffte er es zwar, die Lage in Tiflis halbwegs zu stabilisieren. Die Wirtschaft leidet allerdings nach wie vor unter weit verbreiteter Korruption. Auch nach seiner Wiederwahl im Jahr 2000 nutzte Schewardnadse die Chance zu Reformen und zum Kampf gegen die Vetternwirtschaft nicht - und verprellte damit seinen politischen Ziehsohn und früheren Justizminister Michail Saakaschwili. Und Saakaschwili war es, der Schewardnadse am Samstag aus dem Parlament drängte und die "samtene Revolution" ausrief.

Schewardnadse entging zahlreichen Anschlägen. Bei einem Truppenbesuch in Abchasien wurde er 1993 mit Granaten beschossen, auf dem Weg zur Verabschiedung einer neuen Verfassung wurde 1995 ein Bombenanschlag auf ihn verübt. Im blutverschmierten Unterhemd stieg er aus seiner Limousine. Im Februar 1998 war er erneut Ziel eines Terroranschlages und musste im Oktober des Jahres einen Putschversuch abwehren.

Die jüngste Krise ist nur eine neue Eruption des schwelenden Konfliktes mit der Opposition. Schon im Jahr 2001 kam es zu Massenprotesten gegen Schewardnadse und seinen Innenminister Kacha Targamadse. Nach Überzeugung der Opposition hatten sie tschetschenische Guerillas nach Abchasien eingeschleust. Um seinen Kopf zu retten, entließ Schewardnadse kurzerhand die gesamte Regierung. Seinen Rücktritt lehnte er ab, weil der "den Kollaps des ganzen Landes zur Folge" gehabt hätte, wie er meinte. Bei den jüngsten Wahlen am 2. November wurde nach den Worten ausländischer Beobachter drastischer gefälscht als je zuvor. Daraus erwuchs eine Protestwelle, die ihn schließlich aus dem Amt spülte.