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Ein absurdes Spiel

Von Marina Delcheva

Politik
© Stanislav Jenis

Die heimischen Unternehmen werden hart besteuert, nur die Konzerne können es sich in Steueroasen richten. Absurd, findet Otto Farny, Leiter der Abteilung Steuerrecht in der AK, im Interview.


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"Wiener Zeitung": Darf ich fragen: Wie viel haben Sie im Vorjahr an Steuern gezahlt haben?Otto Farny: Die Lohnsteuer ist noch relativ leicht auszurechnen, ein paar zig Tausend. Und dann kommt ja noch die Umsatzsteuer beim Konsum dazu.

Starbucks hat bei einem Umsatz von 11 Millionen Euro in Österreich angeblich 1311 Euro Steuern 2013 gezahlt. Wie ist das möglich?

Die internationalen Ketten arbeiten normalerweise mit Franchisezahlungen sowie mit Markenrechten. Starbucks in Österreich bezahlt an eine Gesellschaft in einer Steueroase diese Franchise- und Lizenzgebühren beziehungsweise Markenrechte. Die Zahlungen werden in einer Höhe festgelegt, dass der Gewinn über Umwege in eine Steueroase transferiert wird. So wird der Gewinn in Österreich geschmälert, weshalb keine Gewinnsteuer gezahlt werden muss.

Auf welche Tricks greifen globale Konzerne zurück, um Gewinne nicht dort zu versteuern, wo sie anfallen?

Das Grundmuster ist immer das gleiche. Es werden bestimmte Zahlungen für nicht-körperliche Güter getätigt. Die Höhe der Zahlungen wird so festgesetzt, dass der Gewinn in Steueroasen abgesaugt wird. Es gibt aber Regeln, dass man das nicht beliebig machen kann. In Österreich sind seit kurzem Lizenzgebühren und Zinsen nicht mehr absetzbar, wenn sie in Steueroasen gehen. Eine Steueroase ist definiert mit einer Gewinnbesteuerung unter zehn oder 15 Prozent.

LuxLeaks hat gezeigt, dass internationale Konzerne wie Apple, Ikea oder Amazon Gewinne nach Luxemburg verschoben und sich dort Deals mit den Steuerbehörden ausgemacht haben. Sind solche Praktiken illegal oder einfach unmoralisch?

Die sind eigentlich illegal, weil die Gesetze in den Ländern normalerweise nicht vorsehen, dass man sich eine Steuerbefreiung ausmachen kann. Außerdem widerspricht das meiner Meinung nach dem EU-Recht. Es gibt einen Code of Conduct in der EU, der den steuerschädlichen Wettbewerb untersagt. Das steht aber nur auf dem Papier und vielfach halten sich die Staaten nicht dran. Ich glaube nicht, dass das Folgen haben wird für Luxemburg, da solche Praktiken noch nie Folgen in Form von Sanktionen hatten.

Der französische Ökonom Gabriel Zucman schätzt, dass Deutschland durch Verschiebungen von Vermögen in Steueroasen jährlich 30 Milliarden Euro an Steuern entgehen. Und Österreich?

Es gibt keine Schätzungen für Österreich. Aber normalerweise dividieren wir durch zehn. Das ist ein realistischer Wert.

Ist Österreich eine Steueroase?

Partiell ist Österreich eine Steueroase durch das Bankgeheimnis, wobei einiges besser geworden ist. Allerdings haben wir uns jetzt der EU-Amtshilferichtlinie unterworfen, die einen Informationsaustausch vorsieht. Der funktioniert nur sehr schlecht, weil die ausländische Behörde einen konkreten Namen und ein Konto bezeichnen muss. Und normalerweise weiß man das ja nicht. Jetzt kommt langsam Bewegung in die OECD-Länder, weil neue Maßnahmen zugelassen werden sollen. Das sind generellere Abfrage in die Richtung: Hat der Mayer überhaupt ein Konto in Österreich?

Zusammen mit Luxemburg war Österreich das einzige Land, das alle Übergangsfristen bis zur Aufhebung des Bankgeheimnisses ausgeschöpft hat. Warum hat das Land so lange daran festgehalten?

Österreichs Banken profitieren natürlich vom Bankgeheimnis, weil sehr viele Anleger das Bankgeheimnis aus verschiedensten Gründen schätzen. Meine persönliche Meinung ist, man sollte ernsthaft diskutieren, wem das Bankgeheimnis etwas nutzt und wem es schadet.

Der Rechnungshof übt Kritik an der Gruppenbesteuerung (Verluste ausländischer Töchterfirmen können in Österreich geltend gemacht werden, was den Gewinn schmälert, Anm.). Auf der anderen Seite argumentiert die Politik, dass diese Regelung Unternehmen aus dem Ausland nach Österreich lockt.

Ich würde gern die Firmen kennen, die wegen der Gruppenbesteuerung nach Österreich gekommen sind. Es haben nur alle, die schon da waren, eine Gruppe gemacht. Ich kenne nur eine Firma, die nur wegen der Gruppenbesteuerung ihre Europazentrale in Österreich eröffnet hat. Aber sonst kenne ich niemanden. Und das Austria Wirtschaftsservice kennt auch niemanden. Es gibt einen Rechnungshofbericht, der sagt, 400 Millionen entgehen Österreich dadurch pro Jahr.

Viele EU-Staaten, allen voran Deutschland, fordern, Gewinne dort zu besteuern, wo sie auch gemacht werden. Warum ist es so schwer, das umzusetzen?

Es gibt eine jahrelange Debatte unter dem Stichwort "Common Consolidated Corporate Tax Base". Man ermittelt europaweit den Gewinn eines Konzerns nach einem einheitlichen Ermittlungssystem und teilt dann den Gewinn nach bestimmten Kriterien - zum Beispiel Zahl der Arbeitnehmer, Höhe der Umsätze in den einzelnen Ländern; in den Mitgliedsstaaten selbst wird sodann die Steuer erhoben, die national vorgesehen ist. Dann hört sich der Spaß mit dem Verschieben auf. Tatsächlich wäre das ein vernünftiger Zugang, aber wie immer können sich die Staaten nicht einigen. Manche Staaten profitieren vom bestehenden System einfach mehr als andere.

Aber auch wenn die EU-Staaten mitziehen, weichen die Konzerne dann nicht noch mehr auf Steueroasen wie Singapur oder die Cayman-Inseln aus?Europa müsste sich dazu durchringen, die ausländischen Steueroasen einzudämmen. Aber diese Steuerfluchtmöglichkeiten sind ja gewollt. Die Staaten haben so getan, als wären sie überrascht, als vor zwei Jahren aufgekommen ist, wie wenig Ertragssteuern Amazon und Starbucks zahlen. Aber natürlich wissen das die Finanzverwalter. Wenn alle sagen, so wie Österreich, ich erkenne Lizenzzahlungen in einer Steueroase überhaupt nicht als Betriebsausgabe an, dann ist das System tot. Aber das macht niemand. Auch die OECD wird das in ihren 15 Punkten nicht vorschlagen, die gerade in Arbeit sind.

Warum haben Staaten eine Scheu davor, Konzerne zu besteuern?

Es gibt eine interessante Berechnung der Credit Suisse, einer Schweizer Großbank: Man könnte, wenn man die Konzern-Gewinne so besteuern würde, wie es in ihren Herkunftsländern vorgesehen ist, das gesamte europäische Schulden- und Finanzproblem lösen. Ich glaube, dass der Einfluss des Kapitals auf die Politik, welcher Couleur auch immer, sehr groß ist.

Was halten Sie von Forderungen nach einem globalen Steuerabkommen in Richtung harmonisierter Steuerregeln?

Es wäre gut, wenn auf der Ebene der G20 ein substanzielles Abkommen gemacht würde. Es geht aber wenig weiter. Und da muss man sich fragen: warum? Jeder Staat in Europa hat große finanzielle Probleme. Jeder Staat muss nach den Regeln, die sich Europa selbst gibt, sparen. Es kommt zu keiner Investitionsoffensive. Und jeder dümpelt so dahin. Ein Ausweg wäre schon, die Unternehmen so zu besteuern, wie es eigentlich vorgesehen ist. Wobei das Absurde ist: Die österreichischen Unternehmen besteuern wir ohnehin, aber die internationalen Konzerne lassen wir unbehelligt.

Wer hilft den Konzernen beim Steuervermeiden?

Ich mache dem einzelnen Konzern keinen Vorwurf. Wenn sie Manager sind, müssen Sie Kosten senken. Und alles, was die Finanz erlaubt, wird gemacht. Es sind immer die gleichen Gesellschaften, die darauf spezialisiert sind: PricewaterhouseCoopers, Deloitte, Ernst and Young. Sie sind weltweit vernetzt und können das technisch. Ein normaler österreichischer Steuerberater schafft das gar nicht. Sie müssen das legale Optimum für ihre Klienten machen. Der Vorwurf muss sich an die Politik richten, dieses Optimum in den Griff zu bekommen.

Sind diese Berater nicht auch für Regierungen tätig?

Ja, natürlich. Ein Experte von Deloitte sitzt mit mir in der Steuerreformkommission. Der schaut natürlich auf seine internationale Kundschaft. Aber ich möchte nicht sagen, dass das unredlich ist. Man braucht die Leute, die die Praxis haben; die wissen, wie das geht. Das sind nur ganz wenige international.

Zur Person

Otto Farny

ist Leiter der Abteilung Steuerrecht in der Arbeiterkammer Wien. Zudem ist er Mitglied der von der Bundesregierung eingesetzten Steuerreformkommission. Der studierte Volkswirt und Rechtswissenschafter hat zahlreiche Studien und Publikationen zum Thema Steuerwettbewerb, Vermögen und Steuern verfasst.