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Ein Alibiprozess geht zu Ende

Von Antje Krüger

Politik

Vor zehn Jahren starben bei einem Bombenanschlag auf das jüdische Gemeindezentrum AMIA in Buenos Aires 85 Menschen. Nun steht das Verfahren gegen die argentinischen Helfershelfer des Attentats kurz vor der Urteilsverkündung. Vom morgigen Richterspruch selbst wird wenig erwartet, denn die Drahtzieher bleiben unbekannt. Doch wirft der Prozess ein Licht auf die argentinische Justiz und Politik - und deren Vertuschen möglicher internationaler terroristischer Verflechtungen.


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n "Es ist furchtbar, dass es nach zehn Jahren wichtiger ist, wie das Attentat gedeckt wurde als was wirklich geschah" n

Die Uhr zeigte 9.53 an jenem 18. Juli 1994 in Buenos Aires. Eine riesige Detonation erschütterte das Stadtzentrum. In Sekundenschnelle stürzte das Gebäude des argentinisch-jüdischen Vereins für gegenseitige Hilfe, die AMIA, in sich zusammen. Sieben Stockwerke rauschten in die Tiefe. Noch eine Minute zuvor hatten sich hier jüdische Rentner beraten lassen, tranken Geschäftsleute auf der Ecke ihren Morgenkaffee, liefen in der Druckerei gegenüber die Maschinen warm. Dann klaffte in der Pasteurstraße 633 plötzlich eine Wunde, gefüllt vom Staub, der weit sichtbar das Unfassbare über die Stadt trug. Eine Autobombe, gezündet in der Einfahrt des Gebäudes, hatte 85 Menschen in den Tod gerissen und mehr als 300 zum Teil schwer verletzt.

Erschüttert verfolgten die Argentinier in den folgenden Tagen die Fernsehbilder. Die jüdische Gemeinde, mit mehr als 250.000 Mitgliedern die größte in Lateinamerika, ist akzeptierter Teil der argentinischen Gesellschaft. Gerade in der AMIA wurde der Austausch mit nichtjüdischen Argentiniern gezielt gesucht und gefördert. Die soziale Unterstützung, die der Verein anbot, stand allen offen. Laut einer Umfrage des American Jewish Committee glauben 68 Prozent der Argentinier, dass sich die Juden gut im Land integriert hätten. Neben dem heutigen Israel und den USA war Argentinien als tolerantes Einwanderungsland bevorzugtes Ziel von Juden, die vor dem Holocaust in Europa flohen.

Und dann dies. Das Attentat auf die AMIA war der zweite Anschlag auf eine jüdisches Gebäude innerhalb kürzester Zeit in Argentinien. Zwei Jahre zuvor war die israelische Botschaft in die Luft gesprengt worden. Treppenreste an der Brandmauer zum Nachbargebäude gemahnen noch heute der 29 Menschen, die damals ums Leben kamen. Die Drahtzieher wurden nie gefunden. Danach explodierte erneut eine Bombe in einem Land, dass sich vor solchen Attacken sicher glaubte.

Offene Fragen

Der Anschlag richtete sich somit nicht nur gegen die jüdische Gemeinde. Ganz Argentinien war in seinem Selbstverständnis betroffen. Eine erste Annahme, das Attentat auf die AMIA wäre Produkt innerjüdischer Streitigkeiten, konnte sich nicht halten. Was aber war geschehen?

Die Antwort auf diese Frage bleiben der argentinische Staat und die Justiz bis heute schuldig. Dabei gilt inzwischen als sicher, dass der Anschlag von arabischen Terroristen mit argentinischer Hilfe durchgeführt wurde. Der Sprengstoff wurde über die wenig bewachte Grenze im Dreiländerdreieck Paraguay, Brasilien, Argentinien geschmuggelt und das Attentat von dort aus koordiniert. Die Grenzregion steht schon lange unter der Beobachtung US-amerikanischer, israelischer und europäischer Geheimdienste, denn es ist als Treffpunkt von arabischen Terroristenzellen bekannt. In der paraguayanischen Stadt Ciudad del Este lebt eine große arabische Gemeinde mit vielfältigen Kontakten unter anderem zur Hisbollah. Weitere Spuren führten außerdem in die iranische Botschaft in Buenos Aires sowie nach Syrien.

Hintermänner im Dunkeln

Nun geht der längste und umfangreichste Prozess der argentinischen Geschichte nach fast drei Jahren zu Ende, doch wird nach der Verkündung des Urteils am heutigen Donnerstag wahrscheinlich nur ein Helfershelfer hinter Gittern landen. Der argentinische Autohändler Carlos Telleldín, der den Kleinlaster Renault Trafic als Bombenauto zur Verfügung gestellt und mit Sprengstoff präpariert haben soll, ist die Vorzeigemarionette in einer Farce, die sondersgleichen sucht. Zehn Jahre Ermittlungen haben ins Leere geführt. Die Köpfe des Anschlags bleiben unbekannt.

Es ist das ewig gleiche Ritual: Seit über 520 Wochen treffen sich immer Montags die Angehörigen der AMIA-Opfer um 9.50 Uhr auf der Plaza Lavalle vor dem Justizpalast. Sie gedenken eine Minute lang schweigend ihrer Männer und Frauen, Kinder und Eltern, die unter den Trümmern der AMIA begraben wurden. Und sie fordern ein Ende der Straflosigkeit vor diesem Justizpalast, den sie den Palast der Ungerechtigkeit nennen. Denn die Fehler in der Ermittlung und dem Prozess des AMIA-Attentats sind derart hahnebüchen, dass die Organisation Memoria Activa, ein Zusammenschluß von Betroffenen des Anschlags, von einer gewollten Vertuschung und Irreführung ausgeht.

So verschwanden zum Beispiel 66 Tonbänder und Disketten von Telefongesprächen mit Verdächtigen. Listen mit Telefonnummern, die sichergestellt worden waren, blieben unauffindbar. Der Hauptangeklagte Carlos Telleldín wurde vom Richter José Galeano mit 400.000 US-Dollar (rund 325.000 Euro) für eine Aussage bezahlt, welche die Provinzpolizei von Buenos Aires ins Verfahren mit hineinzog. Dagegen blieb iranischen Diplomaten mit Hinweis auf ihre Unantastbarkeit ein Erscheinen vor Gericht erspart, obwohl der damalige iranische Kulturattaché Moshe Rabanni dabei gefilmt wurde, wie er sich kurz vor dem Anschlag bei einem Autohändler für einen Renault Trafic, die Marke des Attentatsautos, interessierte. Und mysteriösen Telefonaten des Angeklagten Telleldín mit Syrien wurde nicht nachgegangen.

Illustre Gesellschaft

Die Angehörigen der Opfer prangern öffentlich an, wen sie für diese Ungereimtheiten verantwortlich halten. Die Namen sind illuster. Da wäre Ex-Präsident Carlos Menem, der sich nach einer Zeugenaussage seine Vertuschungspolitik vom Iran mit zehn Millionen Dollar (acht Millionen Euro) bezahlen ließ. Das Konto in der Schweiz wurde bislang allerdings nicht gefunden, Menem selbst entzieht sich in Chile der argentinischen Justiz.

Da wäre weiters der damalige Innenminister Carlos Ruckauf, der konkrete Hinweise auf das Attentat in Vorfeld unbeachtet ließ. Und Ex-Geheimdienstchef Hugo Anzorregui stellte das Geld für bezahlte Zeugenaussagen bereit. Grund genug für Memoria Activa, den argentinischen Staat wegen Komplizenschaft vor der Interamerikanischen Menschenrechtskomission anzuklagen.

Die Angst bleibt

Ein neues AMIA-Gebäude wurde errichtet. Beton, Stahl, Kameras und Rundumbewachung sollen die Einrichtung schützen. Die Sicherheitsmaßnahmen beengen und belasten die jüdische Gemeinde in Argentinien. Wirklichen Schutz versprechen sie nicht. Der Fall AMIA selbst soll mit der Urteilsverkündung abgeschlossen werden. Enttäuschung bei den Angehörigen der Opfer begleiteten die letzten Prozesstage.

Die verpfuschten Ermittlungen schüren die Angst vor neuen Anschlägen. Denn das AMIA-Attentat war nur möglich, so ist man bei Memoria Activa überzeugt, weil schon der Anschlag auf die israelische Botschaft nicht verfolgt wurde und die Täter sicher sein konnten, in Argentinien ungesühnt davon zu kommen. Das Resümee von Memoria Activa ist bitter. "Mit der Zeit schwinden die Hoffnungen, dass die Wahrheit noch ans Licht kommen könnte. Was vom Prozess übrig bleibt ist die Bestätigung der Vertuschung. Es ist furchtbar, dass es nach zehn Jahren wichtiger ist, wie das Attentat gedeckt wurde als was wirklich geschah", sagt die Vorsitzende Diana Malamud resigniert.