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Ein alter europäischer Konflikt und der Blick nach vorne

Von Werner Wintersteiner

Gastkommentare

Die Erinnerung an die Kärntner Volksabstimmung hat eine Region von gesamteuropäischer Bedeutung in den Mittelpunkt gerückt: das Europa-Modell Alpen-Adria.


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Die Entschuldigung von Bundespräsident Van der Bellen für die jahrzehntelange Verweigerung der Rechte der Kärntner Sloweninnen und Slowenen hat der Feier zum 100. Jahrestag der Kärntner Volksabstimmung einen zukunftsweisenden Akzent verliehen. Sie ist eine höchst wichtige Geste der Anerkennung der Minderheit, hat aber noch eine zweite Dimension: die Übernahme von Verantwortung für den oft als "Kärntner Minderheitenproblem" etikettierten Konflikt durch die Republik. Damit wird dieser langwierige und nun beruhigte Konflikt nicht mehr als provinzielles, sondern als nationales Ereignis wahrgenommen. Tatsächlich ist er - sowohl seiner Entstehung nach wie in seinen Auswirkungen - ein europäischer Konflikt. Das zeigt ja schon das Zustandekommen der Volksabstimmung selbst, aufgrund der Empfehlung eines US-Offiziers, beschlossen von den siegreichen Alliierten.

Pionierarbeit im Dreiländereck

Und so ist die Initiative des Bundespräsidenten ein guter Anlass, die Entwicklung in Kärnten und seinen Nachbarregionen in einem größeren, europäischen Kontext wahrzunehmen. Denn die Alpen-Adria-Region, im engeren Sinne das Dreiländereck Südösterreich (Kärnten/Steiermark) - Slowenien - Friaul und Veneto, ist tatsächlich nicht nur historisch, sondern auch aktuell geopolitisch besonders bemerkenswert. Sie hat, mit Unterbrechungen, jahrhundertelang eine Einheit geformt, die bis heute Spuren hinterlässt. Hier haben praktisch alle europäischen Kriege des 20. Jahrhunderts einen Schauplatz gehabt; und wie kaum woanders haben die beiden Weltkriege hier zu einschneidenden Grenzveränderungen geführt. Hier gab es den einzigen bewaffneten Widerstand gegen das Hitler-Regime auf österreichischem Boden, undenkbar ohne die Partisanentätigkeit in Italien und Jugoslawien. Hier wurde der Zweite Weltkrieg erst 1975 endgültig beendet, mit der Klärung der Grenze zwischen Italien und Jugoslawien im Vertrag von Osimo. Kein Zufall, dass dieser Vertrag erst im Jahr der Entspannung (Helsinki-Prozess) unterschriftsreif wurde.

Hier ist aber auch, mit der Gründung der Arge Alpen-Adria 1976 in Venedig, noch in Zeiten des Kalten Krieges, ein bedeutender Schritt zur intensiven regionalen Zusammenarbeit gelungen. Hier haben Teilgebiete des Nato-Mitglieds Italien, des kommunistischen, aber blockfreien Jugoslawiens und des neutralen Österreichs zusammengefunden. Und es ist bezeichnend, dass dabei die Zentralregierungen in Rom und Belgrad besonders skeptisch waren, fürchteten sie doch, dass die Alpen-Adria-Kooperation ihr außenpolitisches Monopol infrage stellen könnte. Die Arge Alpen-Adria hat Pionierarbeit in der Vertrauensbildung, der Entspannung, aber auch der konkreten Zusammenarbeit wie dem Ausbau der Verkehrsinfrastruktur geleistet. Und dies blieb nicht bloß auf Regierungs- oder Beamtenebene beschränkt, sondern erfolgte und erfolgt unter Einbeziehung der Zivilgesellschaft.

Die Vision einer Friedensregion

Obwohl die Arge in ihrer damaligen Form inzwischen Geschichte ist, ist die Alpen-Adria-Kooperation heute wichtiger denn je, und sie hat, durch die Tatsache, dass nun alle betroffenen Länder EU-Mitglieder sind, auch objektiv günstigere Bedingungen. Um diese Chancen zu nutzen, hat sich die lose Initiative "Friedensregion Alpen-Adria", gebildet, die an verschiedenen Projekten arbeitet: etwa am mehrjährigen Dialog von Wissenschaft und Zivilgesellschaft in Österreich und Slowenien über strittige Punkte der gemeinsamen Vergangenheit, vom Ersten Weltkrieg bis heute, die nun in einem zweisprachigen Buch dokumentiert wurden ("Slovenija - Österreich. Befreiendes Erinnern - Dialogische Aufarbeitung der Vergangenheit").

Ein weiteres Resultat ist das "Alpen-Adria Friedensmanifest", entstanden 2018, anlässlich der 100-Jahr-Feiern zum Ende des Ersten Weltkriegs. Es ist ein Programm für eine langfristige Zusammenarbeit über die Staatsgrenzen hinweg. Der Leitgedanke dieser machbaren Vision ist, dass ein geeintes Europa nicht nur Zentralismus, sondern auch eine regionale Erdung braucht - eben in transnationalen Regionen. Eine Idee, die der Südtiroler Grünen-Politiker und Visionär Alexander Langer bereits seit den 1980er Jahren lanciert hat.

In dem Manifest heißt es: "Wir alleine können nicht die ganze Welt verändern, doch wir können alles tun, um in unserer eigenen Region - der mehrsprachigen, gemischt besiedelten, sich nach wie vor ständig verändernden Alpen-Adria-Region, einer Europäischen Union im Kleinen - an den Grundlagen eines nachhaltigen und friedlichen Lebens zu arbeiten. Gerade heute müssen wir die grenzüberschreitende regionale Kooperation stärken, nicht als eigenbrötlerische Entwicklung, sondern als ein Instrument der Realisierung der globalen Entwicklungsziele vor Ort und als Baustein für ein föderatives demokratisches Europa. ‚Alpen-Adria‘ bezeichnet mehr als eine (touristische) Großregion, es ist vielmehr die Verkörperung einer politischen Idee, der Brennpunkt von Wünschen und Sehnsüchten nach alternativen Formen des Zusammenlebens."

Das Manifest wartet auch mit einer Reihe praktischer Vorschläge auf:

Bildungsziel grenzüberschreitende Mehrsprachigkeit durch obligatorisches Erlernen der jeweiligen beiden Nachbarsprachen;

dialogisches Aufarbeiten der heiklen Punkte unserer Geschichte;

eine integrierte Regionalentwicklung: nachhaltige alpine Landwirtschaft, gemeinsame Tourismusentwicklung und regionalspezifische Umweltpolitik;

Entmilitarisierung und Abrüstung der Region;

Erfindung neuer transnationaler demokratischer Institutionen unterhalb der EU-Ebene.

Ein Vorbild für Regionenin ganz Europa

Nun ist, mit Unterstützung des Österreichischen PEN-Clubs, ein dreisprachiges Buch erschienen, in dem 35 Kommentare von Intellektuellen aus den drei Ländern das Manifest erläutern, kritisieren und weiterentwickeln. Persönlichkeiten wie Drago Jancar, Claudio Magris, Heinz Fischer oder Wolfgang Petritsch unterstützen das Projekt - eine gute Basis für die weitere Kooperation.

Ähnliche Friedensregionen sollten in ganz Europa entstehen, so der Wunsch der Initiatorinnen und Initiatoren. So heißt es im Manifest auch: "Indem sie die Einheit ohne Abschottung fördert, könnte eine künftige Alpen-Adria Friedensregion zu einem Labor für ein friedliches Europa und eine friedlichere Welt werden." Ostösterreich mit Wien ist zum Beispiel Mitglied der Europaregion Centrope, an der auch Teile von Tschechien, der Slowakei und Ungarn Anteil haben. Hier sind die Möglichkeiten der Kooperation noch längst nicht ausgeschöpft.

Buchtipp:

Werner Wintersteiner, Cristina Beretta, Mira Miladinovic Zalaznik (Hrsg.): "Manifesto Alpe-Adria. Stimmen für eine Europa-Region des Friedens und Wohlstands". Löcker Verlag 2020; 532 Seiten; 34,80 Euro