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Ein Angriff auf das Bosman-Urteil

Von Simon Rosner

Europaarchiv

Fifpro warnt vor Loslösung des Sports vom EU-Recht. | Unklare Definition im Lissabon-Vertrag. | Wien. Was sind die "besonderen Merkmale" des Sports? Was ist dessen "soziale Funktion"? Und was versteht die EU unter dem "Schutz der körperlichen und seelischen Unversehrtheit der Sportler"? An Unklarheit im Ausdruck mangelt es dem Lissabonner Vertrag in jener Passage, die den Sport betrifft, nicht.


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Deshalb wird fleißig interpretiert. Was hat das zu bedeuten? Will sich die EU nun in den Sport einmischen? Und wäre das gut oder schlecht? Das Internationale Olympische Komitee hat der EU im Jänner jedenfalls seinen Standpunkt und seine Interpretation, und zwar in Kooperation mit den Weltverbänden im Fußball, Eishockey, Rugby und Basketball, in einem Papier übermittelt.

Auch in diesem siebenseitigen Konvolut sind klare Aussagen und Forderungen kaum zu finden, aber vermutlich war das durchaus so gewollt. Man muss eben zwischen den Zeilen lesen. Wil van Megen hat dies getan, er ist Rechtsvorstand der internationalen Fußballer-Vereinigung Fifpro, die weltweit die Kicker vertritt. "Das ist ein ernsthafter Versuch, Teile des Sports aus dem EU-Recht herauszulösen", sagt Van Megen.

Ein erster Schritt

Für die Fifpro ist das Papier ein erster Schritt, das Bosman-Urteil wieder rückgängig zu machen. "Dabei wurde es durch ein Urteil erst vor wenigen Tagen bestätigt", sagt Van Megen. Der Franzose Olivier Bernard war von seinem Ex-Verein Lyon geklagt worden, weil er zu einem ausländischen Klub wechselte, nachdem er die Ausbildung in Lyon abgeschlossen hatte. Der EuGH gab nun Bernard recht, Lyon scheiterte.

So einfach sind Urteile des Europäischen Gerichtshofes freilich nicht außer Kraft zu setzen. Der Ansatz der Sportverbände ist es, die im Lissabonner Vertrag festgeschriebenen "besonderen Merkmale" des Sports so auszulegen, dass gewisse Regeln ausschließlich (und in weiterer Folge auch gesetzlich verankert) in der Obhut der Sportjudikatur verbleiben.

Darunter fallen technische Regeln jedes Sports (Regelwerk), die Organisation von Veranstaltungen und Klubbewerben oder Anti-Doping-Maßnahmen. In der Praxis hat sich die EU bisher in diese Bereiche ohnehin kaum eingemischt, nur wenn es um Grundfreiheiten geht, Stellung bezogen, etwa in der Arbeitnehmerfreizügigkeit, die 1995 zum Fall Bosman und eben einer Revolution im Sport führte.

Die freie Wahl des Dienstortes, fordern nun die Verbände, sollte "nicht ausschließlich mit EU-rechtlichen Prinzipien beurteilt werden". Ein Angriff auf Bosman? Van Megen befürchtet es. Die Fifpro glaubt, dass der nächste Schritt das Ansuchen um Ausnahmen sein wird. "Das könnte für die EU desaströs werden, denn wenn der Sport eine Ausnahme bekommt, wollen andere Sparten das auch", warnt er.

EU-Sportminister tagen

Natürlich treffen da zwei Gruppen mit oftmals gegensätzlichen Interessen mit ihren Argumentationen aufeinander. Die Spieler, die möglichst ihre Macht gegenüber den Vereinen erhalten wollen, die großen Verbände, die seit Jahren versuchen, den Transferirrsinn in Griff zu bekommen, und natürlich die Vereine, die die von ihnen ausgebildeten Spieler nicht einfach verschenken wollen.

Am 20. und 21. April tagen die Sportminister der EU-Länder in Madrid bei einem informellen Treffen. Bis dahin werden die einzelnen Interessensgruppen noch Stellung beziehen. Die einen werden fordern, die anderen warnen.

Irgendwann freilich wird die Europäische Union nicht drum herumkommen, die "besonderen Merkmale" des Sports auch zu definieren. Zumindest konkreter als bisher.

Aus dem Lissabonner VertragArtikel 165:

Die Union trägt zur Förderung der europäischen Dimension des Sports bei und berücksichtigt dabei dessen besondere Merkmale, dessen auf freiwilligem Engagement basierende Strukturen sowie dessen soziale und pädagogische Funktion.

(2) Die Tätigkeit der Union hat folgende Ziele: Entwicklung der europäischen Dimension des Sports durch Förderung der Fairness und der Offenheit von Sportwettkämpfen und der Zusammenarbeit zwischen den für den Sport verantwortlichen Organisationen sowie durch den Schutz der körperlichen und seelischen Unversehrtheit der Sportler, insbesondere der jüngeren Sportler.