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Vollautomatischer ESA-Raumtransporter startet zum Jungfernflug. | "Jules Verne" wird ISS mit sechs Tonnen Nachschub versorgen. | Paris. (dpa) Die Fantasie von Jules Verne kannte keine Grenzen. "Alles, was ein Mensch sich vorstellen kann, werden andere Menschen einst verwirklichen", sagte einst der Erfinder des ScienceFiction-Romans. Eine europäische Fantasie wird sich in Kürze mit dem Jungfernflug der unbemannten Raumfähre ATV (Automated Transfer Vehicle) verwirklichen - sie trägt den Namen des Raumfahrt-Visionärs Jules Verne. Die aufwendigste Raumfähre, die je in Europa gebaut wurde, soll am Sonntag starten.
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"Jules Verne" wird die Internationale Raumstation ISS mit Nachschub versorgen. Die Mission ist auch eine klare Botschaft: Europa will im Weltall künftig eine wichtigere Rolle spielen, nachdem es soeben mit "Columbus" einen Triumph gefeiert hat. Das Raumlabor dockte im Jänner an die ISS an und funktioniert reibungslos. Gemeinsam mit "Columbus" steht das ATV für die Emanzipation der europäischen Raumfahrt - ein Schritt, auf den die Europäische Raumfahrtorganisation ESA lange hingearbeitet hat.
"Der Flug des unbemannten Raumtransporters ist die erste rein europäische Operation im All. Das ist ein historischer Schritt, der unsere Unabhängigkeit von den USA und Russland zeigt", erklärt Alan Thirkettle. Der ISS-Programm Manager bei ESA sieht im ATV "das große Ding" der ESA in den kommenden Jahren. Wenn nach 2010 die Space-Shuttle-Flotte ausrangiert wird, werden die ESA-Transporter die wichtigsten Versorger für die Raumstation sein. Sie können dreimal soviel Fracht befördern wie die russische Progress-Fähre. Bis 2015 sollen daher vier weitere ATV ins All geschossen werden.
1,3 Milliarden Euro teuer
Zwölf Jahre Entwicklungsarbeit stecken in der zylinderförmigen Raumfähre, die insgesamt 1,3 Milliarden Euro gekostet hat. Bei Folge-Flügen rechnet die ESA allerdings mit deutlich geringeren Kosten von 300 Millionen Euro pro Mission. Mit zehn Metern Länge hat das ATV etwa die Größe eines Doppeldeckerbusses. Im unteren Teil von "Jules Verne" liegen die mit Treibstoff, Sauerstoff und Stickstoff gefüllten Tanks. Im Hauptraum, der für die Astronauten nach dem Andocken an der ISS zugänglich ist, sind Regale an der Wand befestigt und mit Astronautennahrung gefüllt. Knapp 300 Liter Trinkwasser und 500 Kilogramm Nahrung sind an Bord - zusammen mit Ersatzteilen sowie Treib- und Sauerstoff ergibt das knapp sechs Tonnen Fracht.
Eine Spezialversion der Trägerrakete Ariane 5 soll den 19,5 Tonnen schweren Transporter vom europäischen Weltraumbahnhof Kourou in Französisch-Guayana ins All schießen. Den weiteren Flug zur ISS in einer Höhe von Rund 400 Kilometern überwacht das Kontrollzentrum im französischen Toulouse. Mindestens sechs Tage dauert die Reise nach Abkopplung von der Rakete, je nach Position der Station auch länger.
Was dann folgt, beschreibt Programm-Manager John Ellwood als einen "anmutigen Tanz eines verliebten Paares": Sehr langsam wird sich der Transporter der Raumstation nähern, automatisch gesteuert von Radar, Lasersensoren und Satellitendaten. 32 Triebwerke arbeiten unabhängig voneinander und sind doch aufeinander abgestimmt. Allein für die dafür benötigte Navigationstechnik wurden eine Millionen Zeilen Programmcode geschrieben. "So ein System gab es noch nie", sagt Entwicklungsingenieur Stefan Koschade von der EADS-Raumfahrttochter Astrium in Bremen.
Sprungbrett für die ISS
Die Besatzung der ISS kann den Anflug der Raumfähre vom Fenster aus nur beobachten, nicht aber steuern: Im Fall einer drohenden Kollision gibt es lediglich einen roten Knopf, der ein automatisches Abstandsmanöver einleitet.
Nach dem Andocken dient "Jules Verne" den Astronauten als Speisekammer, Abstellraum und zuletzt auch als Sprungbrett: Die ATV-Triebwerke schieben die Raumstation um bis zu 30 Kilometer in die Höhe. Das ist nötig, weil sich die ISS an der Restatmosphäre reibt und täglich 200 Meter absinkt. Das spektakuläre Finale kommt dann im August. Mit rund sechs Tonnen Abfall fliegt der Transporter dann in Richtung Erde und verglüht schließlich als komplizierteste und teuerste "Müllschlucker" der Welt in der Atmosphäre.