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Ein antikes Antibiotikum

Von Roland Knauer

Wissen

Überraschender Fund in Knochenfragmenten. | Antibiotischer Wirkstoff im Bier und im Hirsebrei. | Berlin. "Na dann, Prost!" Ob die alten Nubier vor 1600 Jahren schon solche Trinksprüche verwendeten, wissen wir leider nicht mehr, weil dieses Königreich südlich Ägyptens keine schriftlichen Aufzeichnungen hinterließ. Sehr wohl bekannt ist dagegen, dass ihr Bier anscheinend gleichzeitig als Arznei diente: Es enthielt das Antibiotikum Tetracyclin, mit dem Ärzte noch heute Infektionen wie schwere Akne behandeln.


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Allerdings steht noch heute in den Lehrbüchern, dass der Brite Alexander Fleming erst 1928 mit dem Penicillin das erste Antibiotikum entdeckte. Bis zum ersten Tetracyclin dauerte es dann 20 weitere Jahre. Die Frühmenschenforscherin Debra Martin wunderte sich daher sehr, als sie an der US-Universität von Massachusetts in gut 1600 Jahre alten menschlichen Knochenfragmenten aus dem Norden des heutigen Staates Sudan genau dieses Antibiotikum fand. Wie so oft in der Wissenschaft stand der Zufall Pate: Das normale Mikroskop war gerade besetzt und Debra Martin wich auf ein anderes Gerät aus, das mit ultraviolettem Licht arbeitete. Verblüfft stellte sie fest, dass die Knochen der alten Nubier in einer gelb-grünen Farbe fluoreszierten, die ganz typisch für Tetracyclin ist.

Dieses Antibiotikum aber lagert sich leicht in den Knochen ein. George Armelagos von der gleichen Universität staunte nicht schlecht, als ihm Debra Martin von dieser Entdeckung erzählte: "Wenn wir auf der Nase einer Mumie aus dieser Zeit eine Designer-Brille gefunden hätten, wäre das kaum verblüffender gewesen!"

Dieser Teil der Forschung fand bereits 1980 statt, im Journal "Science" veröffentlichten die Wissenschafter damals ihren sensationellen Fund. Viele Fachkollegen aber zweifelten das Ergebnis gern und heftig an. Dreißig Jahre später aber hatten George Armelagos, der mittlerweile an der Emory Universität in Atlanta arbeitet, und Mark Nelson von der Paratek-Pharmafirma in Boston alle Zweifel ausgeräumt und legten ihr Ergebnis kürzlich im "American Journal of Physical Anthropology" (Band 143, Seite 151) vor.

Zunächst einmal versicherten sich die Forscher, ob sie wirklich Tetracyclin gefunden hatten und holten die gefundene, fluoreszierende Substanz mit Fluss-Säure aus den Knochenfragmenten heraus. Dieser Job ist nicht ungefährlich, Fluss-Säure ist schließlich so aggressiv, dass sie sich sogar durch das Glas normaler Laborgeräte frisst. Aber es gab keinen anderen Weg, und die Mühe lohnte sich: In einem Massenspektroskop genannten Analysegerät konnten die Forscher die fluoreszierende Substanz eindeutig als Tetracyclin identifizieren.

Im Prinzip hätte das Antibiotikum aber auch erst nach dem Tod der Nubier in die Knochen gelangen können. Das konnten die Forscher aber ausschließen, weil sich bestimmte Knochen nach und nach bilden. Doch einige Individuen hatten in manchen Knochenschichten Tetracyclin, in anderen nicht. Gelangt das Antibiotikum erst nach dem Tod in die Knochen, sollte es aber alle Schichten gleichmäßig durchdringen. Die gefundenen Muster entstehen, wenn der Betroffene zu bestimmten Zeiten das Antibiotikum erhält, zu anderen aber nicht.

Auch in Kinderknochen

Also schluckten die Nubier bereits vor 1600 Jahren Tetracyclin. Aber wo kam das Antibiotikum her? Als George Armelagos die Ernährungsgewohnheiten dieser Kultur anschaute, fand er rasch die Lösung des Rätsels. Die Nubier lagerten ihre Hirse wohl in Vorratsgruben im Erdboden. Dort konnten sich Streptomyces-Bakterien auf die Körner setzen, die von Natur aus Tetracyclin produzieren und sich damit gegen andere Bakterien wehren. Sobald die Menschen diese Hirse fermentierten, vermehrten sich die Mikroorganismen kräftig und produzierten große Mengen Tetracyclin. Die fermentierte Hirse aßen die Nubier zum Teil als Hirsebrei, brauten aber auch ein Bier daraus. Damit ist auch klar, weshalb die Forscher Tetracyclin auch in den Knochen von zwei- bis sechs-jährigen Nubiern fanden: Vermutlich gehörte Hirsebrei zur ersten Nahrung nach dem Abstillen.

Heute wird Bier pasteurisiert und verliert so alle lebenden Bakterien. Als George Armelagos und seine Studenten Getreide mit Streptomyces-Bakterien ähnlich wie die alten Nubier fermentierten und ein Bier machten, erhielten sie ein ziemlich saures und leicht grünliches Gebräu, das aber trinkbar war. Und das Nubier-Bier des 21. Jahrhunderts enthielt vor allem reichlich Tetracyclin und wirkt dadurch als Breitband-Antibiotikum. Eine Zulassung als Arzneimittel scheint freilich trotzdem mehr als zweifelhaft.