Der chinesische Menschenrechtsaktivist Xie Yanyi berichtet von Folter.
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"Manch einer wäre wahnsinnig geworden", erzählt Xie Yanyi dem britischen Sender "BBC". Der chinesische Menschenrechtsanwalt wurde 2015 verhaftet und - wie er erzählt - gefoltert. Ein halbes Jahr sei er in eine kleine Einzelzelle gesperrt gewesen. Tageslicht gab es für ihn während dieser Zeit nicht, auch keine Bücher oder sonstige Zerstreuung; dafür einen kleinen Stuhl auf den er sich, ohne die Position zu verändern, von sechs Uhr in der Früh bis zehn Uhr am Abend hinhocken musste. Nach zwei Wochen wurden seine Füße taub und er bekam Schwierigkeiten beim Wasserlassen. Dazu kamen Essensentzug und stundenlange zermürbende Verhöre. Dass er geschlagen wurde, mutet da schon wie eine Selbstverständlichkeit an. Ebenso die Drohungen seiner Peiniger gegen ihn selbst sowie seine Frau und drei Kinder. Selbst im Schlaf fand er keine Ruhe: Er wurde stets überwacht. Änderte er im Schlaf seine Position, wurde er sofort angeherrscht, in die ursprüngliche zurückzukehren - die einzige, die ihm erlaubt war. Belegbar sind die Berichte des 42-Jährigen über seine Folter nicht. Allerdings decken sie sich mit Erzählungen von anderen, denen es ähnlich ergangen sein soll. Denn das Vorgehen gegen Menschen wie Xie hat in China System. Er ist nämlich Menschrechtsanwalt und als solcher für staatliche Stellen oft unangenehm. Er verteidigte Dorfbewohner, die enteignet wurden und ging sogar so weit, Klage gegen Ex-Präsident Jiang Zemin einzubringen, nachdem dieser sich weigerte, als Vorsitzender der Militärkommission zurückzutreten. Um den 9. Juli 2015 herum wurden in China rund 300 Anwälte und weitere Menschenrechtsverteidiger vorübergehend festgenommen und verhört. Der Vorwurf lautete auf Anstiftung zum Umsturz des Staates. Bekannt wurde die Aktion als "709-Crackdown". Dutzende der Verhafteten wurden zunächst an unbekannten Orten eingesperrt und die meisten von ihnen im Jänner 2016 ins Gefängnis verlegt. Kontakt zu Anwälten und Familien war nicht möglich. Und so wusste auch Xies Frau, Yuan Shanshan, ein Jahr lang nicht, was aus ihrem Mann geworden war. Sie ging zum Gericht in Tianjin, wo Fälle von Menschenrechtsaktivisten abgehandelt werden, und hoffte, so etwas über ihren Mann in Erfahrung zu bringen. - Vergebens. Die Prozesse wurden - so meinen Beobachter - absichtlich verzögert, um die Gefangenen dazu zu bringen, erzwungene Geständnisse medienwirksam abzulegen. Sogar die EU schaltete sich offiziell in die Affäre ein und forderte Peking nach Berichten über verhaftete und gefolterte Anwälte auf, diese Fälle zu untersuchen und politische Gefangene freizulassen. Im Jänner 2017 wurde Xie gegen Kaution freigelassen. Und er kann von Glück sprechen, dass er geistig intakt nach Hause gekehrt ist. Ein anderer Freigelassener, Li Chunfu, sei völlig gebrochen, berichtet dessen Frau. In einem Spital wurde bei dem 44-Jährigen die vorläufige Diagnose Schizophrenie gestellt. Xie hingegen ist nicht dem Wahnsinn verfallen. Wobei: Natürlich wurde ihm bei seiner Entlassung ein striktes Verbot auferlegt, mit ausländischen Medien zu sprechen. Dagegen zu verstoßen ist wohl mutig, aber aller Voraussicht nach nicht das Vernünftigste für Leib und Leben.