Nerven aus Rückenmark wachsen in Muskulatur und geben Signale weiter.
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Wien. Eine gedankengesteuerte Armprothese für ein Opfer des Afghanistan-Kriegs: An der Medizinuniversität Wien wurde ein britischer Soldat, der bei der Explosion einer Bodenrakete den rechten Arm beim Schultergelenk verloren hatte, chirurgisch so versorgt, dass er in rund einem Jahr eine Bionik-Armprothese erhalten kann.
Der 24-jährige britische Korporal Andy Garthwaite ist der siebente Patient, der eine in Wien entwickelte bionische Prothese bekommt. Um die heimische Spitzenforschung in diesem Bereich auszubauen, wurde Anfang des Jahres an der Medizinuni ein Christian-Doppler-Labor für Extremitäten-Rekonstruktion gegründet, das für sieben Jahre mit drei Millionen Euro dotiert ist. Industrieller Kooperationspartner ist das Medizintechnik-Unternehmen Otto Bock.
Die Technik der Bionik-Prothese soll den ganzen künstlichen Arm mit Ellbogen- und Handgelenk sowie das Öffnen und Schließen der Hand über Nervenimpulse direkt steuerbar machen. Der Patient "denkt" an die Bewegung, die Prothese führt diese genauso aus, als wären Arm und Hand erhalten und gesund.
Sechs Monate des Übens
Das Team um Oskar Aszmann von der Klinischen Abteilung für Plastische Chirurgie hatte die für Arm-Bewegungen zuständigen Nervenfasern dem Rückenmark entnommen und diese in die Brustmuskel umgelagert. "Die Nerven wachsen allmählich in die Muskulatur, von der die Prothese schließlich Signale zu bestimmten Bewegungen empfängt", sagt Aszmann, der das neue Labor leitet, zur "Wiener Zeitung". Wenn der Patient also den Gedanken hegt: Ich beuge den Ellbogen, entsteht im Gehirn dieses Bewegungskonstrukt. Das Gehirn leitet den Befehl an das periphere Nervensystem weiter, das wiederum Signale an die Sensoren in der Prothese weitergibt. (Die Prothese mit ihrem Sensoren muss in der Nacht abgenommen und, wie ein Computer, aufgeladen werden.)
Bis zur Anpassung der bionischen Armprothese bei dem britischen Patienten werden noch einige Monate vergehen. Zunächst folgt eine Techno-Neuro-Rehabilitation. Dabei trainiert der Kandidat die chirurgisch verlagerten Nerven. "Es dauert einige Zeit, bis die Nerven aus dem Rückenmark in den Muskel wachsen und der Patient lernt, wie er seinen künstlichen Arm gezielt bewegen kann", sagt Aszmann.
Denn Nervenfasern, die bisher etwa im Ellbogen, im Handgelenk oder im Oberarm zu spüren waren, sind nun in den Brustmuskel verlagert. "Der Patient muss erst lernen, dass er eine Kontraktion in der Brust spürt, wenn er sich denkt, dass er den Ellbogen beugen will. Es ist, als würde im Wohnzimmer die Lampe angehen, wenn man im Bad auf den Lichtschalter drückt", so der Chirurg.
Um sich umzugewöhnen, muss Garthwaite sechs Monate lang üben. Die Signale am Stumpf müssen ausreifen, der Nerv in den Muskel einwachsen und der Patient muss die Bewegungen kräftigen, während der Schaft der Prothese an die Signale der Nervenzellen nach und nach angepasst wird. Erst wenn der Brite einen virtuellen Arm auf dem Computer perfekt steuern kann, erhält er den künstlichen Arm.
Die Kosten für eine solche Prothese der Spitzenklasse belaufen sich auf rund 25.000 Euro für einen Unterarm und in etwa das Doppelte für einen ganzen Arm wie im Fall Garthwaites. In Österreich springe die Krankenkasse ein, wenn der Amputation ein Arbeitsunfall zugrunde liegt. "Wir sind allerdings kein Kriegsgebiet, und am Arbeitsplatz ist die Sicherheit enorm gestiegen. Nach Arbeitsunfällen müssen nur äußerst selten Amputationen vorgenommen werden", sagt Aszmann. Motorradunfälle seien häufiger, hier aber trügen Verunfallte meist Nervenverletzungen davon, die einer anderen Form der Rekonstruktion bedürfen.
Im Christian-Doppler-Labor wollen die Forscher die Schnittstellen zwischen Körper und Prothese verbessern, die künftig nicht über die Haut (die schwitzen oder Ausschläge haben könnte) sondern über den Muskel Signale funken soll. Auch die Suche nach den richtigen Nervenfasern im Rückenmark, die naturgemäß alle gleich aussehen, soll optimiert werden.