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Ein atlantischer, fast britischer Sommer

Von Eva Stanzl

Wissen

Von heiß und trocken kann keine Rede sein - der Rekordsommer bleibt aus. Laut Meteorologen sind die Wetterlagen für heimische Breiten zwar normal, halten aber durch den Klimawandel länger an. Mit einer Hitzewelle rechnen sie nicht.


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Da haben sich die Wetterfrösche aber fix geirrt. Einen "Jahrhundertsommer" mit "Rekord-Temperaturen" hatten sie noch im Mai in Aussicht gestellt. Stattdessen regiert in unseren Breiten ewiger Frühling. Was ist passiert? Warum wechselt das Wetter gefühlt alle zwei Tage zwischen Regen und Sonnenschein? Wie verlässlich sind die Voraussagen der Meteorologen und woran liegt es, dass sich bis zur Sommerhalbzeit keine beständige Hitzeperiode breitgemacht hat?

"Im Frühjahr hatte die World Meteorological Association in London die Möglichkeit eines heißen, trockenen Sommers in Aussicht gestellt, schickt Steffen Dietz vom privaten Wetterdienst Ubimet voraus: "Dieses Szenario beruhte auf Langfrist-Modellen, die aber mit großen Unsicherheiten behaftet sind."

Ein Wettermodell ist ein abstrahiertes Abbild der Realität, das auf Annahmen zu Atmosphäre, Klima oder Bodenbedingungen beruht. Kurzfristig funktioniert ein solches Modell gut. Doch schon die kleinsten Veränderungen im System können riesige Auswirkungen auf die Qualität der längerfristigen Vorhersage haben und der noch im Mai erwartete stabil warme Sommer wird zur Makulatur.

Neben einem Glauben an die Richtigkeit von Prognosen kultiviert die Zivilisation auch Erwartungshaltungen an das Wetter selbst. Der Klimawandel beschert der Welt wärmere Sommermonate und wir haben uns an sie gewöhnt. Von den zehn heißesten Sommern der Messgeschichte seit 1767 ereigneten sich sieben seit der Jahrtausendwende: 2003, 2012, 2013, 2015, 2017, 2018 und 2019. Höhere Durchschnittstemperaturen setzen neue Maßstäbe. "Grundsätzlich ist es in Zeiten des Klimawandels normal geworden, dass Jahreszeiten oder einzelne Monate zu warm ausfallen", hebt Dietz hervor und zieht den Dreißigjahresvergleich heran. Konkret sei der Juni um 0,2, der April um 2,5, der März um 1,1 und der Februar um 4,4 Grad Celsius wärmer gewesen als im Durchschnitt des Zeitraums zwischen 1981 und 2010. Somit sei es heuer alles andere als zu kühl.

Das Azorenhoch fehlt

Nur der Mai war um 1,3 Grad zu kalt und brachte mehr Niederschläge als üblich. Setzte sich der Trend fort? Nach den Statistiken der Österreichischen Unwetterzentrale verlief die erste Sommerhälfte ausgesprochen gewitterarm. Mit 350.000 Blitzentladungen befinde sich der Sommer 2020 sogar auf dem Kurs der bisherigen Tiefststände von 2014 und 2015. Allerdings sind und bleiben Hitzetage mit mehr als 30 Grad heuer eine Seltenheit. "In den kommenden beiden Wochen zeichnet sich kein Umschwung ab. Es wird in Mitteleuropa sicherlich kein Jahrhundertsommer mehr", sagt Dietz. Er erklärt fachbezogen: "Es fehlt ein beständiger Azorenableger."

Das Azorenhoch ist nach der zu Portugal gehörenden Inselgruppe benannt und wärmt als ein Teil des subtropischen Hochdruckgürtels die Luft. Wenn es im Sommer seine Fühler bis nach Mitteleuropa ausstreckt, beschert es uns oft sonniges und sommerlich warmes Wetter. "Zwar gibt es auch heuer immer wieder Hochs. Aber sie sind nicht so kräftig, dass sie bestehen würden, sie setzen sich nicht fest", erläutert der Meteorologe.

"Bisher haben wir heuer viel Westwetter. Wir bekommen Luftmassen vom Atlantik und Fronten, die Feuchtigkeit bringen", sagt Klaus Haslinger von der Abteilung für Klimaforschung der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) in Wien. "Diese Progose haben die Modelle aber nicht hingebracht., wir waren von der Wetterlage überrascht."

Herein kommt also die feuchte Luft vom Atlantik. Kontinentalklimatische Einflüsse mit ihrer trockenen Hitze setzen sich heuer nicht durch. Derzeit arbeitet Haslinger an einer Studie zum Niederschlagsverhalten im letzten Jahrhundert. "Es zeigt sich, dass wir in den 1980er und 1990er Jahren im Sommer ähnlich viel Westwetter hatten wie heuer - ein paar Tage Regen, ein paar Tage Zwischenhochdruck." Wer also von einem "Sommer wie früher" spricht, hat durchaus recht. Seit den 1990ern haben sich die Wetterlagen in der warmen Jahreszeit nämlich dahingehend verändert, dass sie uns abgeschirmt haben vom Atlantik. Die Frühjahre wurden trockener, wodurch sich im Sommer Hitzen entfalten konnten. Heuer ist das Westwetter zurück und verhindert anhaltende Schönwetterphasen.

Einfluss des Klimawandels

Für Haslinger ist all dies weniger dem Klimawandel als der Natur selbst geschuldet. "Wetterlagen wie heuer gab es auch in den Sommern der 1970ern und 1950er Jahre", betont der Experte. Die Muster des Westwetters würden von der großräumigen atmosphärischen Lage und dem Starkwindband in großer Höhe, Jetstream genannt, abhängen. "Es scheint so zu sein, dass im Nordatlantik die Verteilung der Meerestemperaturen eine entscheidende Rolle spielt", sagt er. Wenn der Nordatlantik im Norden kühler als im Süden ist, ergibt das einen stärkeren Jetstream, höhere Temperaturgegensätze und eine stärkere Westwind-Zirkulation wie heuer.

Dennoch dürfte der Klimawandel nicht unbeteiligt sein. "Der Klimawandel erhöht die Persistenz einer Wetterlage, also ihr Anhalten über mehrere Tage", sagt Haslinger. "Er trägt dazu bei, dass kühles Wetter und Niederschläge und vor allem auch Hitzewellen sich richtig ausbreiten können." So geschieht es derzeit auch im Zuge der ungewöhnlichen Hitzewelle in Sibirien, wo eine Südströmung eine vorangegangene Trockenheit überlagert.

Auch bei uns bleibt es, wie es ist. "Damit wir mit einem überdurchschnittlich warmen Sommer bilanzieren, müsste der August viel heißer werden als der Juli. Das ist unwahrscheinlich, es ist nämlich keine Veränderung zu erwarten", fasst Haslinger zusammen. Vielleicht kommt es aber doch noch anders.