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Drei Bücher legen höchst unterschiedliche Fährten durch Wiens Vergangenheit: Ein hochpoetischer, anekdotischer und kulturpolitischer Streifzug.
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"Die Straßen Wiens sind mit Kultur gepflastert", lautet ein Bonmot von Karl Kraus. Ganz pragmatisch betrachtet, zehrt die Stadt beträchtlich von ihrem materiellen wie immateriellen kulturellen Erbe. Drei Bücher seien hier vorgestellt, die höchst unterschiedliche Fährten durch Wiens aufgeladene Pflaster legen.<p>Die kaiserliche Residenzstadt hatte über Jahrhunderte das geistige, kulturelle und finanzielle Potential des Habsburgerreiches gebündelt. Umgekehrt durchzogen etwa ihre Architektur oder Kaffeehauskultur die Städte der Kronländer - gleichsam als k.u.k.-Corporate Identity. Der Vielvölkerstaat entwickelte aber auch Kräfte, die einer nationenübergreifenden Identität entgegenwirkten.<p>Vom habsburgischen Patriotismus tief durchdrungen war jedenfalls der Schriftsteller Joseph Roth. Den Zerfall der Donaumonarchie machte er zum Thema großer Romane wie "Radetzkymarsch" - und "Die Kapuzinergruft" (1938). Der Wiener Milena Verlag hat letztgenanntes Werk nun neu aufgelegt und mit einem Nachwort von Karl- Markus Gauß versehen.<p>Der Roman erzählt die Lebensgeschichte des Franz Ferdinand Trotta. Sein Großonkel hatte dem Kaiser bei Solferino das Leben gerettet und war dafür geadelt worden. Doch Franz Ferdinand Trotta, Ich-Erzähler des Romans, entstammt nicht dieser adeligen Linie ergebener Kaiser-Diener. Sein Vater war Chemiker - und rebellischer Patriot, der in einer Monarchie der Österreicher, Ungarn und Slawen die Rettung Habsburgs sah. Das erzwang seine Flucht nach Amerika, von wo er vermögend nach Wien zurückkehrte, eine slowenische Partei gründete, im Kreis um Erzherzog Franz Ferdinand verkehrte - und seinen gleichnamigen Sohn (in der Folge "FF") zur Slawophilie erzog.<p>
Verlorene Heimat
<p>Die Handlung beginnt im April 1914. Der Vater ist tot, FF inskribiert pro forma Jus, vertut seine Zeit aber lieber mit dekadenten Aristos, "beinah lächerlich harmlose Kinder der verzärtelten, viel zu oft besungenen Haupt- und Residenzstadt, die, einer glänzenden, verführerischen Spinne ähnlich, in der Mitte des gewaltigen, schwarz-gelben Netzes saß und unaufhörlich Kraft und Saft und Glanz der umliegenden Kronländer bezog".<p>Erst Joseph Branko, der vitale, geerdete Vetter aus Sipolje (mythische Urheimat der Trottas), holt FF aus dessen Kokon. Branco tourt als Maronibrater durch die Kronländer. Ein authentischer Mensch, von dem FF ebenso fasziniert ist wie von Brancos Freund Manes Reisinger, einem jüdischen Kutscher aus Galizien, der seinem Sohn den Weg ans Konservatorium ebnen will. Trotta verschafft dem Kutschersohn einen Freiplatz am Konservatorium - und folgt im Sommer 1914 Reisingers Einladung nach Galizien; auch Branco stößt dazu. "Alles fremd und fern und doch vertraut: durch den Geist der alten Monarchie." An diesem Rand des Reichs vernimmt das Trio dann des Kaisers Hiobsbotschaft "An meine Völker!". Branco und Manes melden sich freiwillig, FF reist zwecks Heirat noch nach Wien, lässt sich dann aber von seinem Stamm-Bataillon ins bäuerliche Regiment der Freunde versetzen - um mit ihnen zu sterben, "und nicht mit Walzertänzern". Der Krieg trennt das Trio wieder.<p>FF kehrt am Weihnachtsabend 1918 heim nach Wien. Wie seine ideelle Heimat, löst sich nun sein privates Umfeld auf: das Familienvermögen, die Ehe, der alte Freundeskreis. Nach dem Tod der Mutter bleibt FF noch sein Sohn - den er Freunden in Paris überantwortet. Denn in Wien vertreiben "seltsam gestiefelte" Männer die Stammgäste aus ihren Cafés. Roths feinsinniges Requiem auf die Donaumonarchie endet symbolstark: mit Trottas Gang zur Kapuzinergruft.<p>
"Herren" und Pioniere
<p>Der galizische Jude Joseph Roth starb 1939 im Pariser Exil. Vor seiner Emigration war er Stammgast eines legendären Literatentreffs - dem Café Herrenhof in der Herrengasse. Dieser Straße hat nun die Journalistin Anna-Maria Bauer mit ihrem Buch "Vom Palais zum Café" ein Denkmal gesetzt. Der illustrierte Band aus dem Wiener Metroverlag lädt ein zu einer Zeitreise durch diese noble Meile, der die "Herren der Stände" ihren Namen gaben.<p>Die Nähe zur Hofburg machte die Herrengasse zur begehrten Wohnadresse für den Adel. Den ersten Bauboom prägten die Barock-Architekten Johann Fischer von Erlach und Johann Lucas von Hildebrandt. Die zweite große Palaisbau-Phase erfolgte um den Wiener Kongress und brachte Palais im klassizistischen Stil hervor.<p>Der allmählich bröckelnde Einfluss des Adels zwang diesen dazu, die kostspieligen Repräsentationsbauten zu veräußern oder zu vermieten, etwa an Botschaften und Ministerien. Ein altbewährter Amtssitz ist das klassizistische Palais Modena in der Herrengasse Nr. 7: Es beherbergte u.a. die Oberste Polizei- und Zensur-Hofstelle, das Landesverteidigungsministerium, das Büro des k.u.k. Ministerpräsidenten - oder von 1869 bis 1894 die Redaktion der "Wiener Zeitung"; und seit dem frühen 20. Jahrhundert (mit Unterbrechung) das Innenministerium. Heute stehen viele dieser Palais im Besitz von Immobiliengesellschaften, die hier Luxuswohnungen für den Geldadel der Globalisierungsära errichten.<p>

Die Herrengasse ist auch eine Straße der Pioniere. Hier erhielt 1652 das erste Wiener Privathaus Anschluss an eine Wasserleitung; hier erbauten Österreichs erste Nationalbank und die Börse ihren Tempel (Palais Ferstel). Hier gründete Graf Wilczek Wiens erstes Rettungssystem: Der Graf schrieb auch mit der ersten k.k Nordpol-Expedi-tion Geschichte; ferner "teilte" er mit dem Kaiser dessen Geliebte Katharina Schratt, - oder trainierte seine Beine, indem er aus dem ersten Stock seines Palais sprang.<p>Eugenie Schwarzwald wiederum gründete in der Herrengasse das erste Mädchenrealgymnasium der Stadt; auch Wiens erstes Hochhaus wuchs hier in lichte Höh’ - u.a. mit über 100 Ledigenwohnungen, mietbar auch von Frauen. Im Hochhaus logierten viele Burgmimen, und noch heute weist die Mieterschaft eine hohe Prominentenquote auf. Die "Wiener Zeitung" pries den Bau als Bereicherung des Stadtbildes. Weniger Anklang hatte zuvor das "augenbrauen-lose" Loos-Haus gefunden: der Kaiser fand es "scheußlich" und ließ die Hofburgfenster in diese Richtung vernageln.<p>
Auf Spuren der Dichter
<p>Das historische Café Griensteidl war u.a. Treffpunkt der "Jung Wien"-Autoren. Es schloss 1897, als das alte Palais Dietrichstein einem Neubau wich. Worauf Karl Kraus seine Feder spitzte, um mit den Jung-Wienern abzurechnen ("Die demolirte Literatur")- was ihm eine physische Ohrfeige eintrug . . . Die Karawane zog weiter, in die ehemalige Bankschalterhalle des Palais Ferstel - nunmehr Café Central. Anna Maria Bauers Herrengassen-Buch wartet mit viel Wissenswertem und Unterhaltsamem auf - ein ideales Vademecum für den Wien-Flaneur.<p>Welche Bedeutung die Donaumetropole für eine große Autorin der Nachkriegsära hatte, beleuchtet Joseph McVeigh in "Ingeborg Bachmanns Wien". Neben den literarischen und autobiographischen Bezügen interessiert den Autor besonders das geistig-politische Klima, auf das Bachmann in ihrer Wiener Zeit (1946-1953) traf.<p>Wohl versuchte die Autorin, sich privat mit "verzeihlichen Lügen" gegen die Neugier der Öffentlichkeit zu panzern. Teile ihres Privatlebens erschließen sich dennoch über ihre Arbeitswelt, ihre Korrespondenzen - und über ihr Werk. Denn wie heißt es bei Goethe: Lebensgeschichte ist’s immer.<p>Joseph McVeigh, Professor für Germanistik am Smith College in Northampton, Massachusetts, beginnt seine (chronologische) Studie mit der Ankunft der Studentin, angehenden Journalistin und Schriftstellerin in der besetzten Nachkriegsmetropole. Er führt den Leser an ihre Wohnadressen (eine davon, die Beatrixgasse Nr. 26, wird im Roman "Malina" zum "Ungargassenland" stilisiert); zu ihren Autoren-Treffen ins Café Raimund; zu ihren journalistischen Wirkungsstätten.<p>McVeigh analysiert Bachmanns akademische Laufbahn, ihre Tätigkeit für den US-Nachrichtendienst AND und den US-Radiosender Rot-Weiß-Rot - und das Verhältnis zu ihrem Förderer und Geliebten Hans Weigel: So sehr Bachmann beruflich vom Einfluss dieses Schriftstellers und Kritikers profitierte, so sehr empfand sie dessen Protektion später als Bevormundung.<p>Weder ihre Sehnsucht nach einer absoluten Liebe, noch nach Selbstständigkeit als Mensch und Künstlerin erfüllten sich in dieser "Stadt ohne Gewähr", wie Bachmann Wien einmal nannte. Erst als sie in der "Gruppe 47" eine neue literarische und politische Heimat fand, gelang die Loslösung von Weigel - und von Wien. 1953 zog die Autorin nach Italien. McVeigh erschließt Wien als "Brutstätte" von Bachmanns Werk - ein lohnender Streifzug, keineswegs nur für Germanisten.
Joseph Roth
Die Kapuzinergruft
Roman. Milena, Wien 2015, 214 Seiten, 22,90 Euro.
Anna Maria Bauer
Vom Palais zum Café
Glanz & Glorie der Wiener Herrengasse.
Metroverlag, Wien 2016, 240 Seiten, 24,90 Euro.
Joseph McVeigh
Ingeborg Bachmanns Wien
Suhrkamp/Insel, Berlin 2016, 314 Seiten, 25,70 Euro.