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"Ein Aufschrei der Bevölkerung ist notwendig"

Von Christian Rösner und Petra Tempfer

Politik

Zahlreiche Unterstützer aus SP-Kreisen und Wirtschaft, ÖVP skeptisch. | Mit einem umfangreichen Forderungskatalog wollen Initiatoren Druck für Reformen machen.


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Wien. Weniger Bürokratie, dafür mehr Autonomie für Schulen und mehr Ganztagsschulen: Das sind nur einige der insgesamt zwölf Forderungen des "Volksbegehrens Bildungsinitiative", das von 3. bis 10. November in Gemeinde- respektive Bezirksämtern von 8bis 16 Uhr zur Unterschrift aufliegt. Rund 52.000 Unterstützungserklärungen, also sechsmal so viele wie nötig, haben die Initiatoren rund um den Industriellen und Ex-Vizekanzler Hannes Androsch (SPÖ) schon gesammelt. Nun müssen mindestens 100.000 Personen das Volksbegehren unterschreiben, damit es im Parlament behandelt wird.

Für Diskussionen sorgt es allerdings schon lange: Seitdem die Initiative im Herbst des Vorjahres startete, kristallisierten sich klare Befürworter und Gegner heraus, die unter anderem auf parteipolitischer Ebene zu finden sind. So unterstützen zahlreiche SP- sowie SP-nahe Organisationen, die Grünen, das Liberale Forum und diverse Bildungsreform-Plattformen das Volksbegehren. Auch die konservative Industriellenvereinigung und einige Länderorganisationen der Wirtschaftskammer sind dafür.

Als Künstler finden sich André Heller und Karl Heinz Hackl unter den Unterstützern. Und Unterrichtsministerin Claudia Schmied hat ebenfalls angekündigt, das Bildungsvolksbegehren zu unterschreiben, weil sie es als Reformmotor sieht. Skeptisch steht ihm hingegen die ÖVP gegenüber: Ist doch aus dem Kurztext des Volksbegehrens zumindest verklausuliert die Forderung nach einer Gesamtschule herauszulesen (siehe Artikel rechts). Allein der ÖVP-Abgeordnete Othmar Karas unterstützt das Volksbegehren als Anstoß für eine Debatte.

Klar dagegen spricht sich wiederum die "Bildungsplattform Leistung und Vielfalt" aus, die sich laut eigener Aussage als "Gegenpol zum Bildungsvolksbegehren" formiert hat. "Das heißt vor allem: Keine Gesamtschule", ist auf deren Homepage zu lesen. Vorstand ist der Gründer der Sir-Karl-Popper-Schule, Günter Schmid. Darüber, dass das System in Österreich reformbedürftig ist, sind sich Plattform und Volksbegehren-Initiatoren zwar einig - statt politischer Eingriffe sollen laut Plattform jedoch die Begriffe Leistung und Vielfalt die Zukunft dominieren.

"Gegenbewegung ist ein Missverständnis"

"Diese Gegenbewegung basiert auf einem Missverständnis", meint Bildungsexpertin Christa Koenne dazu - sowie auch Hannes Androsch (siehe Interview unten). Das Volksbegehren habe einen sozialpolitischen und keinen parteipolitischen Ursprung. Damit sich beim Thema Bildung etwas ändern kann, sei ein "Aufschrei der Bevölkerung" nötig. Erst dann hätten Unterrichtsministerin Schmied und Wissenschaftsminister Karlheinz Töchterle die Chance, handlungsfähig zu werden.

"Das gesamte Bildungssystem ist in Bewegung. Wir haben bereits erkannt, dass wir uns von anderen Ländern wie Finnland, aber auch Polen und Südtirol etwas abschauen können", sagt Koenne zur "Wiener Zeitung" - und verweist auf Österreichs schlechtes Pisa-Studien-Ergebnis. "Unsere Hausübung bis zum nächsten Pisa-Test ist, das Bildungssystem zu verbessern." Die Gegenbewegung hatte im September vor allem mit einer in Auftrag gegebenen Imas-Studie argumentiert, laut der 28 Prozent der Österreicher das Schulsystem "alles in allem eher für besser als das der meisten anderen europäischen Länder" halten.

Mit ihrer eigenen Bildung sind demnach 61 Prozent im Großen und Ganzen zufrieden, 28 Prozent würden gerne "insgeheim mehr Bildung und Wissen haben". Weiters wurde abgefragt, ob in den heimischen Schulen "zu viel oder zu wenig von den Schülern verlangt wird". 34 Prozent der Befragten hielten die Anforderungen für "gerade richtig", jeweils knapp ein Viertel sagte, dass "eher zu viel" (23 Prozent) beziehungsweise "eher zu wenig" (24) verlangt wird.

Für 50 Prozent könnte das Schulsystem besser sein

Schmied meinte, die "Panikmache mancher Politiker, dass im Schulsystem wegen angeblich katastrophaler Qualitätsmängel zwanghafte Veränderungen um jeden Preis notwendig seien, deckt sich absolut nicht mit der Meinung der Bevölkerung". Dennoch glaubt immerhin mehr als die Hälfte der Befragten, dass "vieles" (20 Prozent) beziehungsweise "einiges" (38 Prozent) besser sein sollte im Schulsystem. Mit ein Grund, warum auch die Initiatoren des Bildungsvolksbegehrens nie müde wurden, ihr Vorhaben zu bewerben. Sie veranstalteten zahlreiche Pressetermine und schickten sogar einen als Neandertaler verkleideten Schauspieler auf Werbetour. Seine Mission: auf die aktuelle "Bildungssteinzeit" in Österreich aufmerksam zu machen. Dabei streifte er nicht nur durch die Straßen Wiens, sondern suchte auch Bibliotheken und Unis auf.

Am Dienstag rief schließlich auch der Verband sozialistischer Studenten (VSStÖ) die Studierenden zur Unterschrift auf - trotz vorangegangener Kritik an Hannes Androsch: "Wenn wir Studierende das Bildungsvolksbegehren unterschreiben, geht es dabei um die Anliegen im Bildungsbereich und nicht um eine Unterstützung von Androsch, der in seinen Aussagen oft Unwissenheit im Hochschulsektor beweist und für Studiengebühren plädiert. Hinter dem Bildungsvolksbegehren steht der Wunsch vieler engagierter Menschen, die gemeinsam für einen sozial gerechten Zugang zu Bildung auf allen Ebenen kämpfen, und das gilt es zu unterstützen", erklärte die Bundesvorsitzende Mirijam Müller am Dienstag. Das Bildungsvolksbegehren sei eine Chance, um zu zeigen, dass die Politik endlich für nachhaltige Verbesserungen im gesamten Bildungssektor sorgen müsse. Die wichtigsten Forderungen des VSStÖ: die Gesamtschule, der offene Hochschulzugang und zwei Prozent des BIP für den tertiären Bildungssektor.

Der Vorsitzende des Mittelschülerkartellverbands, Ex-Staatssekretär Helmut Kukacka, blieb hingegen bei seiner Ablehnung. Für ihn bedeute die Umsetzung des Volksbegehrens eine "staatlich verordnete Gesamtschule bis zum Ende der Schulpflicht und damit die Abschaffung der Langform des Gymnasiums", wie er am Dienstag mitteilte.

Außerdem hätte die Gesamtschule für das berufsbildende mittlere und höhere Schulwesen (HTL, HAK) negative Auswirkungen: "Damit enden diese Schulen ein Jahr später, was für Bund und Eltern enorme Mehrkosten bedeuten würde, da ein erheblicher Teil eines Jahrganges ein Jahr später ins Erwerbsleben eintritt." Verkürze man aber das berufsbildende Schulwesen um ein Jahr, würde dies zu Lasten der Qualität dieser Schulen gehen, argumentiert Kukacka.

Dass sich in der österreichischen Bildungspolitik etwas ändern muss - darüber sind sich aber letztlich doch alle einig.