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Ein Auge reicht nicht

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
Walter Hämmerle.
© Luiza Puiu

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Es ist beileibe keine neue Einsicht: Die erbittertsten Gegner entwickeln aus ihrer Leidenschaft heraus eine Tendenz zur Annäherung. In Extremfällen so weit, dass sich, wenn sämtliche Oberflächlichkeiten abgezogen sind, einander bis zum Verwechseln ähnliche, in Verblendung und Mordlust sogar idente Monster gegenüberstehen.

Skylla und Charybdis, die beiden Ungeheuer, die in den Tiefen unserer Gesellschaften heute auf ihre Opfer lauern, sind der rechtsextreme und der islamistische Terrorismus. Wahrscheinlich ist dies die ultimative Strafe für beide Mördergruppen: Dass sie in einen Topf geworfen werden mit ihrem ärgsten Feind; die Einsicht, dass ihre antagonistischen Ideologien, für die sie töten, hinter ihren Gemeinsamkeiten verschwinden.

Die unzweideutige Verurteilung von Terroristen ist die leichtere Übung. Komplizierter wird es im Umgang mit intellektuellen Wegbereitern, mit dem näheren und ferneren Umfeld der Täter. Die Hausdurchsuchung beim Sprecher der österreichischen Identitären, laut Verfassungsschutz "eine der wesentlichen Trägerinnen des modernisierten Rechtsextremismus", wegen einer Spende des Attentäters von Christchurch hat diese Bewegung nun in den Fokus gerückt.

Die Regierung hat, zu Recht, die volle Härte des staatlichen Gewaltmonopols und politisch-juristische Strafverschärfungen eingesetzt, um keinen Zweifel an ihrem Kampf gegen islamistische Bedrohungen aufkommen zu lassen. Mit der gleichen Leidenschaft muss der Einsatz gegen rechtsextreme Gefährder geführt werden. Schon der leiseste Eindruck, dass hier mit zweierlei Maß gemessen werden könnte, wäre fatal. Das verlangt insbesondere von der FPÖ die klare Abgrenzung zu einer in rechtsextremen Kreisen einflussreichen Randgruppe, deren Argumente und Tonalität sie in der Vergangenheit immer wieder aufgegriffen hat.

Es ist die Aufgabe der Politik, eine klare Grenze zwischen sich und all jenen Gedanken und Personen zu ziehen, die wie Gift in der Gesellschaft wirken könnten. Der Konjunktiv ist hier bewusst gesetzt, weil dies eine Kernfrage von Politik ist. Das Strafrecht kann den Parteien diese Entscheidung nicht abnehmen. Denn hier muss für und in jeder liberalen Gesellschaft gelten: Was nicht ausdrücklich verboten ist, ist erlaubt.

Die Politik zieht innerhalb dieses weiten Rahmens noch einmal eigene Grenzen des Zumutbaren und Erträglichen. Und steht in der demokratischen Haftung, wenn sie falsch bewertet.

Der Massenmord von Christchurch könnte für die Identitären zum Anfang ihres Endes werden. In diesem Prozess stehen drei Optionen zur Auswahl: Radikalisierung, glaubwürdige Abgrenzung oder Verschwinden.