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Ein Baum vor dem Burnout

Von Matthias Winterer

Wald

Die Fichte ist der mit Abstand häufigste Baum des Landes. Doch sie hat ein Problem – sie stirbt. Das wird unsere Wälder verändern. Und unsere Wirtschaft gleich mit.


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Wie ein gigantischer Strichcode stehen die Bäume an der Lichtung. Ein schnurgerader Stamm neben dem anderen. In der Tiefe des Waldes verdichten sie sich zu einer diffusen Fläche aus Holz. Tausende hochgeschossene Bäume. Sie gleichen sich. Feinschuppige Borken, kahle Stämme, kegelförmige Wipfel, die im Wind synchron hin und her schwingen. Der Waldboden ist mit einer dicken Schicht toter Nadeln bedeckt. Es riecht nach feuchter Rinde und dem Benzin der Motorsäge. Dieser Wald im Unteren Mühlviertel besteht aus einer einzigen Baumart – der Fichte.

Die Fichte ist der mit Abstand häufigste Baum im Land. Von den 3,4 Milliarden Bäumen auf österreichischem Staatsgebiet sind zwei Milliarden Fichten. 51 Prozent der gesamten Waldfläche sind Fichtenbestände. Damit ist sie der unumstrittene Goldesel der hiesigen Forstwirtschaft. Tausende Bauern leben von ihrem Holz. Es wird vielfach verwendet. Unser Klopapier besteht genauso aus Fichtenholz wie unsere Regale, Tische, Sesseln und Dachstühle. Der Baum liefert beinahe unser gesamtes Bauholz. Außerdem wird die Fichte verbrannt. Als Scheite, Pellets, Briketts oder Hackschnitzeln wärmt es tausende Wohnzimmer. Zu Weihnachten singen wir Lieder unter dem geschmückten Fichtenbaum.

Doch die Fichte hat ein Problem - sie stirbt. Der Klimawandel macht ihr den Garaus. Ihr Verschwinden wird unsere Landschaft nachhaltig verändern. Und unsere Wirtschaft gleich mit.

Der gestresste Baum

Die Feinde der Fichte sind vier Millimeter groß. Sie heißen Buchdrucker und Kupferstecher und gehören zur Familie der Borkenkäfer. Lautlos mampfen sie Gänge unter die Rinde des Baumes und legen Eier hinein. Die weißen Larven schlüpfen und zerfressen das Bastgewebe des Stammes. Nährstoffe und Wasser können nicht mehr in die Krone transportiert werden. Der Baum stirbt ab. Der Käfer besiedelt den nächsten.

Einer gesunden Fichte können Borkenkäfer nichts anhaben. Sie wehrt sie mit der Produktion von Harz ab. Doch die heimischen Fichten sind nicht gesund. Sie sind gestresst.

Die Fichte im Stress

Wenn Experten von gestressten Bäumen sprechen, meinen sie, dass sie der Klimaveränderung nicht gewachsen sind. "Die extremen Temperaturen und langen Trockenphasen der vergangenen Jahre haben der Fichte zugesetzt. Sie ist in ihrer Abwehr gegen den Käfer geschwächt", sagt Sigrid Netherer. Die Mitarbeiterin des Instituts für Forstentomologie, Forstpathologie und Forstschutz an der BOKU in Wien untersucht die "Attraktivität trockengestresster Fichten für den Borkenkäfer", wie ihr Forschungsprojekt heißt. Ihr Befund: Der Borkenkäfer hat die Fichte zum Fressen gern. Während der Baum unter der Hitze nach Regen lechzt, profitiert der Schädling von warmen und trockenen Sommern. Er vermehrt sich explosionsartig. "Aus einem einzigen Brutsystem können sich binnen eines Jahres tausende Nachkommen entwickeln", sagt Netherer.

Befallene Bäume müssen so schnell wie möglich erkannt, gefällt und aus dem Wald gebracht werden, bevor die Schädlinge im Nachbarbaum nisten. Denn der Borkenkäfer arbeitet still, heimlich und schnell. Ein Befall bleibt oft lange unbemerkt. Erkennt man ihn, ist es meist zu spät. 2018 mussten in Österreich etwa vier Millionen Festmeter schadhaftes Fichtenholz geschlägert werden. Das entspricht einer Fläche von 18.000 Fußballfeldern. Tendenz steigend. Vor allem Ober- und Niederösterreich sind betroffen.

Die milden Februartage lassen die Bauern böses erahnen. Denn die nächste Generation von Borkenkäfern schlüpft, wenn es warm wird. Dabei sind die Schäden der vergangenen Saison noch lange nicht aufgearbeitet. Tausende Bauern schlägern dieser Tage tote Bäume aus ihren Wäldern.

Im industrialisierten Wald

Robert Gould wirft die Motorsäge an. Der Forstwirt steht unter einer 30 Meter hohen Fichte. Ihr Wipfel ist braun, die Äste morsch, der Stamm über weite Teile nackt. Am Boden liegen große Stücke der Borke. Sie sind von Larvengängen durchzogen. Bohrmehl rieselt aus den winzigen kreisrunden Löchern, durch die der Käfer den Baum besiedelte. Er ist längst wieder ausgeflogen. Das Knattern der Säge durchbricht das Gezwitscher der Vögel. Ihr Schwert frisst sich in das Holz. Gould schneidet Fallkerb und Fällschnitt in den Stamm. Drei schnelle Schnitte, und der Baum schlägt dumpf auf dem Waldboden auf. In 70 Jahren gewachsen, in fünf Minuten gefällt. Ein Drittel des neun Hektar kleinen Waldes ist dem Borkenkäfer bereits zum Opfer gefallen. So Robert Gould geht es vielen.

Die sanften Hügel des Mühlviertels sind ein Flickwerk. Äcker, Wiesen, Raps- und Maisfelder wechseln sich ab. Die riesigen Walzen der Drescher fressen sich durch Gerstenkulturen. An manchen Stellen wird die Symmetrie von chaotischen Waldflecken durchbrochen. Österreichs Wälder sind kleinteilig strukturiert. 145.000 Eigentümer teilen sich 82 Prozent der gesamten Waldfläche. Es sind vorwiegend kleine Bauern- oder Familienwälder - im Durchschnitt nicht größer als zehn Hektar. Wie grüne Seen liegen sie zwischen den geometrischen Flächen der Felder. Hier scheint die Agrarkultur auf wilde Natur zu treffen. Doch der Schein trügt.

Denn die Wälder des Mühlviertels sind keineswegs Naturwälder. Sie sind reines Produkt ökonomischer Forstwirtschaft - aufgeforstet, um Gewinn zu maximieren. Dafür war die Fichte über lange Jahre wie geschaffen. Sie wächst schnell, gerade und stellt kaum Ansprüche. Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts wurde sie in Österreich immer häufiger gepflanzt, seit der Nachkriegszeit im großen Stil. Auch in Regionen, in denen sie eigentlich nicht heimisch ist, wie etwa im Unteren Mühlviertel. "Auf einer Seehöhe von unter 800 Metern gab es die Fichte ursprünglich nur als Mischbaumart", sagt Netherer. Heute wachsen hier Monokulturen in den Himmel.

Die Bäume, die Gould heute schlägt, wurden in den 1950er-Jahren gesetzt. "Alle Bauern pflanzten damals Fichten", sagt er. Ihre Kinder sollten später reiche Ernte machen - und wieder Fichten für ihre Nachkommen setzen. Doch nun unterbrechen die Bauern den Reigen. Kaum jemand forstet wieder mit Fichten auf. Denn der reichen Ernte kamen Hitze, Trockenheit und mit ihnen der Borkenkäfer in die Quere.

Die Suche nach dem Baum der Zukunft

Gould wischt Sägespäne von einem glatten Baumstumpf. Die gerodete Fläche wird von Tag zu Tag größer, sein Wald kleiner. Mit welcher Baumart er die Lücke wieder schließen will, weiß er noch nicht. Hitzeresistent muss sie sein. Mit wenig Wasser muss sie auskommen. In den vergangenen Jahren war es im Mühlviertel nicht nur überdurchschnittlich warm, es hat auch kaum geregnet. "Im Jahr 2018 gab es in manchen Gegenden Ober- und Niederösterreichs um die Hälfte weniger Niederschlag als im langjährigen Mittel", sagt der Klimaforscher Klaus Haslinger von der ZAMG. Ob sich der Trend weiter fortsetzt, ist kaum abzusehen. "Die Wetterlagen sind jedoch statischer als früher. Wenn es also einmal heiß und trocken ist, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass es lange so bleibt", sagt er.

Das ist für die flachwurzelnde Fichte fatal. Ausgedehnte Fichtenwälder haben auf lange Sicht ausgedient - vor allem in niedrigen Lagen. Im Jahr 2050 sollen nur noch 38 Prozent der österreichischen Waldfläche Fichtenbestände sein, schätzt das Bundesforschungszentrum für Wald. Was sie ablöst, bleibt vorerst offen. Für Eichen ist das warme Wetter ideal. Auch Buchen profitieren vom Klimawandel. Sie wandern in höhere Regionen, in denen sie früher nicht wuchsen. Im Waldviertel wird mit verschiedenen Ahornarten und der Douglasie experimentiert. Der Trend geht auf alle Fälle in Richtung Mischwald. Der Wald der Zukunft könnte also vielfältiger werden. Zwischen den Laubbäumen fühlen sich auch Fichten wohl. Hier sind sie wesentlich resistenter als in Monokulturen. Ein durchaus auch ökonomisches Argument.

Fichtenholz überschwemmt den Markt

"Käferholz verkauft sich schlecht", sagt Andreas Hofbauer. Als Geschäftsführer des Waldverbands Oberösterreich vertritt er die Interessen der Waldbesitzer. Der Verein bündelt die vielen kleinen Forstwirte des Bundeslandes. "Gemeinsam können wir mit den großen Playern am Holzmarkt mithalten", sagt er und meint damit die Sägewerke, die den Forstwirten ihr Holz abkaufen. In Wirtshäusern wird über sie hergezogen. Sie haben sich den Unmut vieler Bauern zugezogen. "Die Sägewerke geben uns einen zu schlechten Preis für unser Holz. Wenn man den Käferbefall früh erkennt, ist die Qualität nicht minder", sagt ein Bauer. Er möchte seinen Namen nicht in der Zeitung lesen. Geschlagene Fichten müssen rasch verarbeitet werden. Werden sie zu lange gelagert, verlieren sie an Qualität und Wert. "Die Sägewerke holen die Bäume absichtlich spät ab, dann müssen sie weniger zahlen", sagt er.

Doch nicht nur die Qualität drückt den Preis. Fichtenholz überschwemmt den Markt. Das Angebot übersteigt die Nachfrage. Die Lager der Sägewerke sind voll, sie können die Mengen kaum noch bewältigen.

Die Sägewerke laufen auf Hochtouren

In das Betriebsgelände von Stora Enso in Ybbs an der Donau rollt ein Güterzug ein. Auf seinen Wagen stapeln sich meterhoch Fichtenstämme. Der finnisch-schwedische Konzern ist das zweitgrößte Forstunternehmen der Welt und einer der größten Papier- und Verpackungshersteller. Er führt Betriebe in ganz Europa. In Niederösterreich steht sein größtes Sägewerk. Die Fichten der Mühlviertler Bauern landen vorwiegend hier. Sie werden zu Bauholz oder Zellstoff für die Verpackungsindustrie verarbeitet. Die Stämme wandern auf Förderbändern in Fräsen und Sägen. Rund 2,5 Millionen Festmeter Fichtenholz verschneidet der Konzern in seinen drei österreichischen Werken in Brand, Ypps und Bad St. Leonhard im Jahr. "Die Produktion läuft seit Jahren auf Hochtouren und wird fortwährend gesteigert", sagt Norbert Hüttler, Einkaufsleiter von Stora Enso. "Momentan ist das Angebot höher als unsere Verarbeitungskapazität."

Die Kritik der Bauern lässt er nicht gelten. "Wie überall in der freien Marktwirtschaft orientiert sich auch hier der Preis am Markt. Er reduziert sich durch das Überangebot und die schlechte Qualität", sagt Hüttler. "Wir nehmen so viel wie möglich an. Was wir nicht verarbeiten können, lagern wir auf eigene Kosten." Auf einer riesigen Betonfläche liegen tausende Bäume. Ein schnurgerader Stamm auf dem anderen. Äste und Wipfel wurden gekappt.

Noch vor wenigen Wochen standen sie stramm an einer Lichtung. Unzählige Stämme gleichmäßig über den Waldboden verteilt. Heute klafft hier ein Loch. Mehrere Hektar wurden gerodet. Ein sogenannter Harvester hat mit den Bäumen kurzen Prozess gemacht. Die Vollerntemaschine fällte sie wie Zahnstocher. Harvester haben die Forstwirtschaft industrialisiert. In wenigen Sekunden schlagen sie Bäume, entrinden sie vor Ort und säbeln sie in identische Stücke. Was bleibt, ist ein Meer aus Baumstümpfen.

Und ein Brett im Baumarkt. "Vier Euro und 50 Cent", sagt die Dame an der Kassa und zieht es über den Strichcodescanner.