Zum Hauptinhalt springen

Ein Behördennetz für ganz Europa

Von Reinhard Binder

Wirtschaft
Die Zukunft ist ein europaweites Netzwerk. Noch muss man national stückeln. Foto: bb

Nationale Ämter müssen länderübergreifend arbeiten. | Regulierungs- prototyp: Erdgas- und Elektrizitätsmarkt. | Linz. Europa ist auf dem Weg zu einer gemeinsamen Verwaltung. "Die fortschreitende Europäisierung bringt eine immer intensivere Verflechtung von nationalem und europäischem Verwaltungsrecht", sagt der Linzer Rechtsprofessor Michael Mayerhofer vom Institut für Verwaltungsrecht und Verwaltungslehre. "Diese Entwicklung ist auch nicht mehr aufzuhalten." Darüber diskutierten Experten bei der Herbsttagung der Verwaltungswissenschaftlichen Gesellschaft im Linzer Lentos.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 15 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Die Vollziehung von europäischem Recht erfolgt grundsätzlich durch die nationalen Verwaltungsbehörden oder direkt durch europäische Institutionen wie der Kommission im Beihilfenrecht. In den vergangen Jahren kam es besonders in Bereichen des Umwelt-, Steuer-, Asyl- und Sicherheitspolizeirechts über die Staatsgrenzen hinweg zu einer immer stärkeren Vernetzung der nationalen Verwaltungsbehörden. Informationen über die Entrichtungen der Umsatzsteuer werden zwischen den Finanzämtern der Mitgliedsstaaten ausgetauscht, EU-Agenturen - von der Grundrechtsagentur bis zu Europol - wurden gegründet und Datenbanken wie das Schengener Informationssystem helfen bei der Verbrecherfahndung.

Mit dem Vertrag von Lissabon wurde die Zusammenarbeit in der Verwaltung erstmals vertraglich verankert. Allerdings: "der Vertrag bringt keine Kompetenzerweiterung zugunsten der Gemeinschaftsorgane", erklärt Mayerhofer, "und ist auch keine Grundlage für eine einheitliches europäisches Verwaltungsrecht mit eigenen Organisationen". Die Zukunft liegt laut Mayerhofer in einem europaweiten Behördennetzwerk. Ein Prototyp ist das fortgeschrittene Wettbewerbsnetz rund um die Regulierung des Erdgas- und Elektrizitätsmarktes.

Verbindungsbüros der EU in den einzelnen Mitgliedsstaaten übernehmen die Koordination und sichern die Kommunikation untereinander.

Neben dem Informationsaustausch und Auslegungsfragen von Rechtsakten werden in diesen Netzwerken auch Gesetzesentwürfe vorbereitet. Leopold Radauer, Generaldirektor des Rates der EU, kritisiert in diesem Zusammenhang die mangelnde Transparenz dieser Netzwerke, denn nicht immer sind alle EU-Mitgliedstaaten daran beteiligt. Eine Dokumentation gäbe es kaum. Auch wenn Gesetzesentwürfe, Stellungnahmen und Gutachten nur einen informellen Charakter haben, sind deren Wirkungen durch den Gruppendruck sehr weitreichend. "Die teilnehmenden Partner sind durch ein Gentlemens Agreement gebunden."

Transnationale Akte

Verwaltungsbehörden können in verschiedenen relativ kompliziert geregelten Verfahren auch sogenannte "transnationale Verwaltungsakte", das sind Zulassungsentscheidungen etwa von Genprodukten oder Medikamenten, erlassen. Folge: Wird ein Produkt in einem EU-Mitgliedstaat zugelassen, kann es auch in einem anderen Staat vertrieben werden. Der Bescheid einer französischen Behörde würde dann seine Wirkung auch in Österreich entfalten. Probleme ergeben sich dadurch beim Rechtsschutz. "Verwaltungsakte eines Landes können nämlich grundsätzlich nicht bei Gerichten eines anderen Landes angefochten werden", erklärt Rudolf Thienel, Vizepräsident des Verwaltungsgerichtshofes.

Gerichte der Mitgliedsstaaten dürfen außerdem nicht Akte von Gemeinschaftsorganen selbständig verwerfen. Unmittelbare Entscheidungen etwa der Kommission können nur im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahren durch den Europäischen Gerichtshof geprüft werden. Laut Thienel liegt die Schwierigkeit in diesem Zusammenhang in der Abgrenzung des Vorabentscheidungsersuchens von möglichen Direktklagen.