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"Ein beschämender und provinzieller Wahlkampf"

Von Werner Reisinger

Politik

Rot-Blau nur bei Personalwechsel an der SPÖ-Spitze: Der Politologe Anton Pelinka über die Folgen der Causa Silberstein.


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"Wiener Zeitung": Könnte die Silberstein-Affäre traditionelle SPÖ-Wähler dazu motivieren, nicht zur Wahl zu gehen oder jemand anderen zu wählen?

Anton Pelinka: Sicherlich ist dieser Skandal, Vorfall, wie auch man immer man ihn bezeichnen will, für die Sozialdemokratie nachteilig. Aber die SPÖ war schon vorher auf einem Pfad der Erfolgslosigkeit. Da kommt das gerade noch dazu. Ich sehe die Affäre als gewissen Verstärker, aber nicht als zusätzlich besonders ausschlaggebend.

Beobachter meinen, dass diese Causa der repräsentativen Demokratie und Politik generell Schaden zufügen könnte. Erwarten Sie, dass sich das auf die Wahlbeteiligung auswirkt und zu einer stärkeren Politikverdrossenheit führt?

Es ist ein Stärkezeichen für die Demokratie, dass so etwas aufgedeckt wird und den Parteien schadet, die dafür die Verantwortung tragen. Das ist Demokratie. Der Täter wird bestraft. Was will man denn mehr haben?

Was wird nach der Wahl intern in der SPÖ passieren? Wird es einen Reinigungsprozess geben, im Sinne: "So etwas darf uns nie wieder passieren"? SPÖ-Altkanzler Franz Vranitzky forderte in der "Tiroler Tageszeitung" etwa unlängst, dass man sich komplett neu organisieren sollte.

Das ist eine gute Überlegung. Die SPÖ wird sich Fragen stellen müssen. Diese müssen aber tiefer gehen. Das Dilemma der SPÖ ist ja, dass sie zwei auseinanderdriftende Gesellschaftsschichten auf einen Nenner bringen will. Einerseits die Modernisierungsverlierer, die weniger gut ausgebildet sind, die eher dafür sind, die Grenzen zu schließen. Die hat die SPÖ zum Gutteil bereits an die Freiheitlichen und vielleicht auch an die Kurz-ÖVP verloren. Andererseits die besser ausgebildete, wachsende Schicht. Die SPÖ droht zwischen den Stühlen übrig zu bleiben. Die Technik des Wahlkämpfens, dass man den Wahlkampf als Partei so aus der Hand gibt: Das ist dann die zweite Frage. Die erste Frage halte ich aber für wichtiger.

Schwindelt man sich über diese Positionierungsfrage hinweg, indem man versucht, einen übermächtigen Gegner durch solche technischen Methoden zu bezwingen? Schaut man zu wenig auf die eigenen Themen und zu sehr darauf, wie man den Gegner schaden kann?

Ich wäre da vorsichtig. Der Gedanke, wie man seinem Gegner beschädigen kann, ist sicher auch bei anderen Parteien aufgetaucht. Die SPÖ ist sicher nicht die erste Partei, die hier ein Tabu bricht. Die SPÖ hat es nur ungeschickt gemacht und sich dabei erwischen lassen.

Werden Wähler durch den Dirty Campaigning-Wahlkampf versucht, für Parteien zu stimmen, die ihnen von ihren Interessen her eigentlich fremd sind?

Es wird viel zu viel über die Performance der Parteien, über Techniken der Präsentation und Dirty Campaigning geredet. Was die österreichischen Parteien von den EU-Reformvorstellungen von Emmanuel Macron und Jean-Claude Juncker halten: Das ist viel zu wenig vorgekommen. Dabei ist das viel wichtiger für Österreich als eine verlogene Wahlkampagne. Über Europa ist kaum geredet worden. Es ist ein beschämender und provinzieller Wahlkampf. Er ist auf simple Techniken des Verkaufens reduziert worden. Um die verkauften Inhalte geht es nicht. Das stört mich – bei allen Parteien, vor allem bei SPÖ, ÖVP und FPÖ. Der Bundespräsidentschaftswahlkampf 2016 hat noch sehr viel mit Inhalten zu tun gehabt. Da ging es nicht darum, welche Farbe ein Plakat hat.

Der Wahlkampf um das Amt des Bundespräsidenten war stark ideologisiert und zugespitzt. Man sprach von einer geteilten Gesellschaft.

Inhalte wurden viel stärker profiliert. Auch, weil es um einen grünen und freiheitlichen Kandidaten ging. Die konnten sich erlauben, Kanten, Ecken und Gegensätze zu zeigen. Diese fehlen bei diesem Wahlkampf bei den Großparteien. Versteckt gibt es die natürlich. Dass Sebastian Kurz, der seit mehreren Jahren Außenminister und noch länger Mitglied der Bundesregierung ist, als Mann der Wende und des Wandels auftritt, ist inhaltlich erstaunlich. Das ist untergegangen.

Würden die Sozialdemokraten bei einer Koalition mit den Freiheitlichen auseinanderdriften? Könnte es dann zu ernsten Verwerfungen kommen?

Verwerfungen ja, eine Parteispaltung wie bei der Liste Pilz eher nein. Ich würde den linken SPÖ-Flügel nicht überschätzen. Vranitzky, der entscheidend die Formel geprägt hat, dass es keine Koalition mit der FPÖ geben soll, war bis dahin ein Mann des rechten Flügels. Man hat ihn als "Banker" bezeichnet. Links und rechts sind künstliche Begriffe. Die Sozialdemokratie hat seit Vranitzky aber viel von ihrer Identität über ihre Gegnerschaft zur FPÖ bezogen. Die ist dann natürlich in Gefahr – wobei die Koalition der SPÖ mit der FPÖ im Burgenland hier schon Schleusen geöffnet hat.

Wenn Kurz als relativer Mehrheitsführer ungeschickt ist, kann durchaus passieren, was sich schon 2000 ereignet hat: Der Zweite und der Dritte tun sich zusammen. Ich nehme nur an: Kern wird das nicht können. Da wird in der SPÖ ein heftiger Personalwechsel stattfinden müssen. Ob das Hans-Peter Doskozil ist, der in aller Munde ist, ist schwer vorauszusagen. Das hängt auch von der Kanzlerfrage ab. Mit einem SPÖ-Kanzler wird sich die Sozialdemokratie wesentlich leichter tun, mit der FPÖ zusammen zu gehen.

Gibt es eine Mehrheit bei den klassischen SPÖ-Funktionären und Wählern, die gerne eine Koalition mit der FPÖ bilden würde?

Das ist sehr schwer zu sagen. Wir wissen ja noch nicht, wer die SPÖ wählt. Bei den traditionellen Wählern würde ich unterscheiden. Die Sozialdemokraten, die letztes Jahr für Van der Bellen gelaufen sind, werden dagegen sein. Die Sozialdemokraten, die wie die SPÖ im Burgenland nicht für Van der Bellen gelaufen sind, werden dafür sein. Es würde die SPÖ in eine sehr kritische Lage bringen. Es ist aber vorstellbar, um der Opposition zu entgehen. Das ist eine Position, wo man keine Personalmacht hat.

Aber man könnte sich dort erneuern.

Um der Erneuerung willen geht man nicht in Opposition. Die SPÖ ist auch 2000 nicht um der Erneuerung willen in Opposition gegangen, sondern weil Wolfgang Schüssel sie ausgetrickst hat.

Anton Pelinka (76) ist Professor für Politologie an der Central European University in Budapest und einer der profundesten Kenner der österreichischen Sozialdemokratie.