Im Minutentakt fällen die EU-Parlamentarier bei ihren Plenarsitzungen ihre Beschlüsse - doch manchmal bedeutet es mehr als Routine.
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Der Weihnachtsbaum kommt heuer aus Österreich. Wie ein gutes Dutzend Mal zuvor. Mit roten Kugeln und Christbaum-Schmuck aus Stroh herausgeputzt, steht die Tanne aus dem Waldviertel in einem der langen Gänge des Europäischen Parlaments in Brüssel. Nur dreizehn Mal steuerte ein anderes Land den Baum bei, erklärte Parlamentspräsident Jerzy Buzek bei der feierlichen Übernahme vor wenigen Tagen. "Wir könnten ja böse sein, dass ihr dreizehn Mal nicht geliefert habt", scherzte er mit den österreichischen Abgeordneten. "Aber wir verzeihen euch."
Vorweihnachtliche Besinnung kam in dieser hektischen Parlamentswoche allerdings kaum auf. Die EU-Mandatare waren zum sogenannten Mini-Plenum zusammengekommen, zu einem zweitägigen Treffen, bevor sie wieder in knapp zwei Wochen zur Plenarsitzung nach Straßburg strömen werden, wo der Hauptsitz des Parlaments ist.
Doch bevor die Debatte in Brüssel richtig begonnen hat, müssen die Abgeordneten sie auch wieder unterbrechen: Ein Feueralarm treibt alle aus dem Saal. Bei einer Übung wird das gesamte Gebäude evakuiert, minutenlang schrillen die Glocken, die Menschen eilen zum Ausgang - und schlendern dann gemächlich auf die gegenüberliegende Straßenseite, um das Parlament über den anderen Trakt wieder zu betreten. Die zwei Saalordner in ihren Fracks und mit den grobgliedrigen silbernen Ketten über dem Bauch wirken auch draußen wie Zeremonienmeister.
Bald darauf gehen die Mandatare aber wieder zur Tagesordnung über. Auf dieser steht unter anderem die Absegnung des EU-Budgets für das kommende Jahr, ein Beschluss für einen strengeren Verhaltenskodex, nach dem die Abgeordneten etwa zusätzliche Einkommen offenlegen müssen, oder Beratungen über Maßnahmen im Kampf der EU gegen Aids.
Bei den Abstimmungen geht es dann ganz schnell. Über mehr als zwei Dutzend Punkte müssen die Mandatare votieren, hinzu kommen etliche Abänderungsanträge. "Ich beginne mit der Abstimmung", sagt der Vorsitzende. "Wer ist dafür?" Die im Halbrund vor ihm sitzenden Abgeordneten heben die Hand. "Wer dagegen?" Andere Hände werden in die Höhe gereckt. "Antrag angenommen." Nach monatelangen Vorbereitungen sind in wenigen Minuten gleich ein paar Beschlüsse getätigt. Doch manchmal geht ein Raunen durch die Sitzreihen. "Check", ruft jemand; andere schließen sich der Unmutsbekundung an. Vielleicht ist es zu rasch gegangen, vielleicht hat der Präsident nicht genau hingesehen. Es geht zur namentlichen Abstimmung: Die Mandatare betätigen die Knöpfe auf den Pulten vor sich.
Dass es jedoch ab und zu ein besonderer Knopfdruck ist, zeigt die Abstimmung über den Antrag Kroatiens auf die Mitgliedschaft in der EU. Es ist ein Formalakt; der Beitritt ist beschlossene Sache. Doch nach diesem Votum bricht Applaus im Saal aus. Etliche Parlamentarier stehen auf, drehen sich klatschend zur Besuchertribüne um. Dort hat eine kroatische Delegation Platz genommen. Die Ergriffenheit ist ihren Teilnehmern anzusehen.