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Nun ist es also amtlich: Lance Armstrong wird endgültig nicht als größter Radfahrer in die Geschichte eingehen, sondern - zumindest bis auf Weiteres - als größter Dopingsünder und größter Betrüger im Spitzensport. Mit letzterer Bezeichnung sollte man allerdings vorsichtig sein - denn wer sind denn in diesem Fall die Betrogenen? Gewiss, Armstrong war zu seiner Zeit jener Fahrer, der die besten legalen und illegalen Mittel zur Verfügung hatte und nicht zögerte, sie auch einzusetzen; zudem verstand er es meisterhaft, ein System aufzustellen, um (lange Zeit) nicht aufzufliegen; aber er war auch zweifellos der schnellste Fahrer unter all den hochgezüchteten Waden-Mutanten im Peloton. Wer sind also die fairen Kollegen, die um den Sieg geprellt wurden? Bis jetzt hat es noch niemand gewagt, Anspruch auf nur einen einzigen der sieben Tour-Siege von Armstrong zu stellen. Und der 41-Jährige wurde ja nicht von "betrogenen" Ex-Kollegen verpfiffen, sondern just von seinen ebenfalls heftig an sich herummanipulierenden Edeldomestiken Floyd Landis und Tyler Hamilton. Und welcher Fan, welcher TV-Sender, welche Zeitung, welcher Sponsor wurde betrogen? Tatsächlich war es großes Sport-Kino, das Armstrong allen jahrelang geboten hat und an dem alle gut verdient haben. Man erinnere sich nur an L’Alpe d’Huez 2001, als er einen Jan Ullrich in Höchstform -diesen tief in die Augen blickend - stehen ließ; oder an Luz-Ardiden 2003, als Armstrong in ein Plastiksackerl einfädelte, stürzte, um dann die Spitzengruppe noch zähnefletschend niederzukämpfen. Letztlich gibt es nur einen Betrogenen in der Sache - und das ist Armstrong selber. "Ich bin vom Totenbett aufgestanden. Ich wäre verrückt, mich zu dopen", erklärte er einmal. Wer dopt, den Krebs nur haarscharf überlebt und trotzdem weiter dopt - der muss wirklich verrückt sein. Bei all den anstehenden Geldforderungen könnte diese noch offene Rechnung am eigenen Körper die teuerste von allen werden.