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Ein Bio-Apfel braucht kein Etikett

Von Christine Zeiner

Wirtschaft
Das Bio-Kisterl kommt - mit regional geerntetem Gemüse der Saison anstatt hochgezüchteter Gewächshaus-Ware. Foto: Corbis

Die Industrie für Bio-Lebensmittel boomt. | "Bio für Alle" ist aber keineswegs Realität. | Neue Lebenseinstellung einer "Öko-Elite". | Wien. Gestern kam das Kisterl. Ein halbes Kilo Äpfel "Topaz", zwei zwerggroße Häupl Chicorée, ein dreiviertel Kilo "Linda"-Kartoffeln, ein halbes Kilo Karotten "Milan", ein Sack kleiner, grüner Blätter, ein dreiviertel Kilo Kraut, eine dicke Wurzelpetersilie und ein halbes Kilo Zwiebeln: 12,73 Euro, inklusive 1,95 Euro Liefergebühr, denn ein freundlicher Mann hat das Kisterl in den vierten Stock getragen. Auf dem Lieferschein steht "Abokiste Apfeltraum" und dass die kleinen, grünen Blätter "Postelein" heißen.


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Das Kisterl ist für eine Woche gedacht. Ein bis zwei Personen sollen sich damit garantiert "Bio" ernähren können. Alles Obst und Gemüse entspricht der Saison, kommt aus der Region und wurde nach speziellen Regeln angebaut, zum Großteil nach jenen des Bio-Verbands Demeter. Besser für Mensch, Tier und Umwelt geht es kaum - auch wenn das diejenigen, die wenig Geld haben, vielleicht nicht ganz so sehen: "Bio für alle", wie es die ehemalige deutsche Umweltministerin Renate Künast einst gefordert hatte, liefert das Kisterl auf den ersten Blick nicht gerade. Massentauglich sieht anders aus.

Demeter-Bauern, so heißt es auf der Homepage, berücksichtigen die "irdischen und kosmischen Lebenszusammenhänge". Sie achten darauf, dass "ihre Tiere gesund und lebensfroh" sind und beobachten Mond und Sterne: "Alle Vorgänge müssen zum richtigen Zeitpunkt geschehen." Besondere Karottenerträge zum Beispiel, die auch besonders lagerfähig seien, erhalte man, wenn sie vor Vollmond ausgesät würden. Und: Karotte sei nicht Karotte, erklärt ein Demeter-Landwirt. So viele verschiedene Sorten gebe es, so viele Farben, Formen und Geschmacksunterschiede.

Verzicht auf Chemie, Hormone und Gentechnik

Der Gedanke, keinen Einheitsmatsch zu essen, ist schön und auch, dass es offenbar jemandem Spaß macht, trotz der anstrengenden Arbeit bei Wind und Wetter, Äpfel zu ernten und Kühe zu füttern. Dass er jede Kuh bei ihrem Namen nennt, erzählte einmal der Reichenauer Bio-Bauer Karl Erlach, kein Demeter-Bauer, aber Mitglied im Verband Bio-Austria. Bio-Landwirtschaft heißt: Keine chemisch-synthetischen Pestizide, keine Hormone, kein Mineraldünger, keine Gentechnik, unabhängige Kontrollen, möglichst viel selbst angebautes Futter für die Tiere. Bio-Kühe haben mehr Platz als konventionelle und können an die frische Luft. Hühner, die Bio-Eier legen, bekommen ebenfalls nur Futter aus kontrolliert biologischem Landbau. Auch sie müssen ins Freie laufen können und haben außerdem mindestens acht Stunden Nachtruhe - und stehen somit nicht im künstlichen Dauerlicht.

Die EU-Bio-Regeln gelten für den Bioparadeiser aus dem Burgenland ebenso wie für die Bio-Pute aus Bayern und den in die EU importierten Bio-Knoblauch aus China. Sie gelten für "Ja!Natürlich" wie für "Demeter", für den engagierten Bio-Bauern ebenso wie für jenen, der nicht mehr als die Mindestanforderungen erfüllt. Sie gelten für die Handelsmarken, bei denen man nicht weiß, von welchen Bio-Höfen der Welt der Inhalt stammt ebenso wie für jene, bei denen fast jeder Schritt für den Konsumenten nachvollziehbar ist.

Wer Bio kaufen will, der könne das auch, lautet eine Weisheit. Teuer sei relativ. Man bräuchte nur auf ein Packerl Zigaretten verzichten oder auf die auch nicht gerade billigen Pringles-Chips. Das, sagt hingegen ein Bio-Bauer, sei gar nicht notwendig: Denn man gebe nicht mehr Geld aus, wenn man gute Bio-Ware kauft, weil man automatisch bewusster kochen und essen würde. Das könnte man auch Kindern in der Schule beibringen und so außerdem gleich den verbreiteten Volkskrankheiten Übergewicht und Diabetes vorbeugen.

Der Freund schaut dennoch genervt. Von der Skepsis gegenüber esoterisch anmutenden Ritualen mancher Biobauern einmal abgesehen, was solle denn das: So viele Menschen, die gerade einmal mit Ach und Krach ihre Wohnung zahlen könnten - aber Hauptsache, man fasle von Bio.

Ist Bio nur etwas für "bessere" Menschen?

Nicht ganz zu unrecht haftet dem Label "Bio" etwas Überhebliches an: Der "bessere Konsument" kauft Bio. Zudem gilt Bio manchen als nur bedingt sympathische Begleiterscheinung der Gentrifizierung, des Wandels tristerer Bezirke in schickere. Auf manchen Kneipenfenstern in den Berliner Szene-Vierteln prangt mittlerweile trotzig das Schild "keine Bionade".

Wer einmal eine Agrarfabrik von innen gesehen hat, dem wird die Abneigung gegen yuppiehaftes Schwören auf Öko-Lassi und gegen hippe Limonaden vermutlich nebensächlich erscheinen. Eine Schweinemast mit 65.000 Tieren hat der holländische Agrar-Industrielle Harry van Gennip in Sandbeiendorf in Sachsen-Anhalt errichtet. In Gerbisbach, ebenfalls Sachsen-Anhalt, will van Gennip ein ähnliches Riesen-Unternehmen schaffen, gegen Proteste der Anrainer. Das Problem, wie möglichst viele Menschen an gesunde Lebensmittel kommen können, die ohne Ausbeutung von Arbeitern, Tieren und Umwelt hergestellt wurden, bleibt.

Warum ist es nicht einfach selbstverständlich, dass weder Mensch, noch Tier, noch Umwelt geschädigt wird? Dass Bio normal ist, kein Etikett braucht - und man gar nicht erst auf die Idee kommt, sich einzubilden "ein besserer Mensch" zu sein als der Nachbar, der begeistert ein Kilo Brathuhn um zwei Euro hamstert?

56 Milliarden Euro Steuergelder vergibt die EU jährlich als Agrarförderungen. Die Subventionen wurden einst eingeführt, um ausreichend Lebensmittel zu garantieren - und leistbare. Lebensmittel wurden billiger und billiger. Nicht nur die EU subventioniert den Agrarsektor, auch die USA tun das beispielsweise. Das beeinflusst das Angebot auf dem Weltmarkt und die Preise.

Die Betriebe wurden größer, der Konkurrenzkampf zwischen den Einzelhändlern nahm zu. Der Konsument freut sich, wenn er wieder zehn Cent gespart hat. Noch gibt es kein "Bio für alle", von dem die Grünen-Politikerin Künast sprach: Betriebe, die nachhaltig wirtschaften, auf Wasser, Böden, Tiere und Pflanzen achten und dabei Arbeitsplätze schaffen, sollen demnach unterstützt werden. Zwar plant EU-Agrarkommissar Dacian Ciolos, die Subventionen stärker an Umweltschutzauflagen zu koppeln. Er stößt aber auf Widerstand, zum Beispiel aus Deutschland.

Gutes Essen muss für alle Menschen möglich sein

Warten bis sich die Politik bewegt? Nein, finden manche und sprechen von einer "Öko-Elite", die schon weiter ist als der Rest: Sie hat kapiert, worum es geht. Als Teil der Konsumgesellschaft kauft sie das "Richtige", protestiert einmal gegen Atomkraftwerke und investiert ein anderes Mal in Ökostromanlagen und bringt so die Genesung der Welt in Gang.

Gutes Essen sollte schon jetzt für alle möglich sein, finden hingegen zwei Frauen in Berlin und eröffneten einen Bio-Laden im als Problembezirk bekannt gewordenen Neukölln. Das Sozialprojekt, das Langzeitarbeitslosen eine Beschäftigungs- und Ausbildungsmöglichkeit bietet, hat zwei Preise für jedes Produkt: Wer weniger als 850 Euro im Monat verdient, zahlt weniger - für alle anderen kosten die Bio-Waren so viel wie in anderen Geschäften. Noch sind die Mitarbeiter ehrenamtlich tätig. Vielleicht ändert sich das ja bald: Die Geschäfte laufen gut.