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Internet bietet Iranern Möglichkeit zum freien Meinungsaustausch. | "Mullahs online": Auch Regime nutzt das Web. | Teheran. Peyman wird zornig, wenn er hört, dass der Iran im Westen nur auf den Atomstreit, Präsident Mahmud Ahmadinejad und dessen Israel-Sager und ein Land der Kopftuch tragenden Frauen reduziert wird. "Es gibt dieses naive Denken, dass wir keine anderen Probleme haben. Wir führen sicher ein anderes Leben als im Westen, aber wir leben bei Gott nicht im Mittelalter. Obwohl es bei Menschenrechten und in anderen Bereichen viel Nachholbedarf gibt, stehen wir euch bei Bildung, Medizin und Technik um nichts nach", gibt sich der 22-jährige iranische Jusstudent kämpferisch.
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Ein Spaziergang durch Teherans Straßen macht die Lebendigkeit der jungen Metropole - rund 12,5 von etwa 15 Millionen Einwohnern sind unter 30 Jahre alt - deutlich. In einem Land, wo die jungen Menschen aufgrund der Rahmenbedingungen sich nicht in Diskotheken, bei Hollywood-Filmen und in Cocktailbars amüsieren können, ist die Kunst der Improvisation gefragt. Und genau da kommen das Internet und die neuen Medien ins Spiel. Laut einer Statistik der Weltbank liegt der Iran, was den Prozentsatz von PCs pro 1000 Menschen angeht, weit über dem Durchschnitt der gesamten Region. 40 bis 50 Internetcafés werden täglich eröffnet, fast genauso viele werden von der Führung aber wieder geschlossen. Von den 70 Millionen Einwohnern nutzen mittlerweile geschätzte 16 Millionen das Internet, Tendenz stark steigend.
Insbesondere die vielen Studenten im Iran, die aus den unterschiedlichsten Regionen und Gesellschaftsschichten kommen, haben an der Universität Internet-Zugang. Ironischerweise ist es vor allem der Bildungspolitik der Islamischen Republik zu verdanken, dass ein so breit gefächerter Gesellschaftsquerschnitt Zugang zu höherer Bildung und damit auch zu den neuen Medien hat.
Virtuelle Gemeinschaften
2001, als der iranische Journalist Hossein Derakhshan, eines der ersten iranischen Weblogs ins Netz stellte, wusste er nicht, dass er mit seinem Internet-Tagebuch eine ganze Community ins Leben rufen würde. Heute ist Persisch die dritthäufigste Sprache, in der Internet-Tagebücher geschrieben sind. Der Grund für die rasche Verbreitung des Bloggens im Gottesstaat ist die Tatsache, dass es Bedürfnisse befriedigt, die die Printmedien nicht mehr erfüllen können. Das Bloggen findet in einem sicheren Raum statt, in dem sich die Menschen freimütig über alle Themen austauschen können.
Bekannte Autoren nutzen ihre Blogs, um die staatliche Zensur zu umgehen und ihre Texte online zu veröffentlichen. Schließlich dienen die Blogs auch zur Informationsverbreitung, etwa wenn angesehene Journalisten unzensierte Reportagen ins Netz stellen und Iraner weltweit ihre Blogs nutzen, um mit den Menschen in der Heimat zu kommunizieren.
Doch auch die Mullahs selbst nutzen die Vorteile der neuen Medien. Wer die offiziellen Seiten von Irans oberstem geistlichen Führer Ayatollah Ali Khamenei ( www.leader.ir ;www.khamenei.ir ) oder von Präsident Ahmadinejad ( www.ahmadinejad.ir ) besucht, wird verwundert sein, welch strukturierte Maschinerie sich ihm in vier Sprachen bietet.
Der Reiz des Verbotenen
Zum Abschluss zeigt uns Peyman noch sein Lieblings-Internetcafé. "In diesen kleinen Geschäften versuchen viele aus den Zwängen des restriktiven Alltags zu entfliehen und für einige Minuten sie selbst zu sein", erzählt Peymann. Und auch wenn viele westliche und heiß begehrte Seiten nicht zugänglich sind - eines kann man nicht verhindern: Das Finden von Schlupflöchern. "Im Chat kann man etwa mit falschem Namen sagen, was man denkt", erklärt der 22-Jährige. Genau das macht aber auch vielfach den Reiz aus.
Denn das alte Sprichwort, wonach etwas umso interessanter wird, wenn es verboten ist, gilt auch im Iran. Und die Jugend des Mullah-Staates kostet diesen Reiz allen Zensurmaßnahmen zum Trotz nur allzu gern aus.