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Ein bisschen Zuckerbrot zur Peitsche?

Von WZ-Korrespondentin Martyna Czarnowska

Politik

Angekündigte Reise von EU-Kommissionspräsident Juncker nach St. Petersburg wirbelt viel Staub auf.


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Brüssel/Warschau. Jens Stoltenberg hatte einige Zusicherungen mitgebracht - und ein paar Mahnungen. Bei seinem Besuch in Warschau musste der Nato-Generalsekretär nämlich ausgewogen agieren: Einerseits wollte er den besorgt auf die Entwicklungen im benachbarten Russland blickenden Polen versichern, dass sie auf die Unterstützung des Militärbündnisses zählen können. Auf der anderen Seite sollten Provokationen gegenüber Moskau vermieden werden. Neue Spannungen mit dem Kreml wolle die Nato nicht, stellte Stoltenberg daher fest. Doch sprach er gleichzeitig von "einem Russland, das seine Nachbarn einschüchtert und mit Gewalt Grenzen verändert". Daher werde die Allianz ihre Sicherheit erhöhen.

Diese Erklärungen vernahmen der polnische Verteidigungsminister Antoni Macierewicz und andere Regierungsmitglieder gern. Denn es ist Warschau, das gemeinsam mit Kollegen aus den baltischen Staaten immer wieder vor der Aggression des Kreml warnt und oft harschere Strafmaßnahmen gegen Russland fordert, als so manche andere - vor allem westeuropäische - EU-Mitglieder ergreifen wollen. Deswegen ist den Osteuropäern so wichtig, dem Bedrohungsszenario etwas entgegenzusetzen: in Form von verstärkter Nato-Präsenz an den östlichen Rändern des Bündnisses. Sie hoffen auf mehr Soldaten, mehr Gerät, schnelle Einsatztruppen - und dass dementsprechende Zusagen auf dem Nato-Gipfel in Warschau Anfang Juli fixiert werden.

Welchen Preis die Gruppe rund um Polen dafür zu zahlen bereit ist, ist freilich noch offen. Wird Warschau der Aufweichung von EU-Sanktionen gegen Russland zustimmen, wenn es sich besser geschützt fühlt? Solche Fragen könnten in Brüssel schon bald aufgeworfen werden - auch wenn die Aktionen der Nato und EU auf den ersten Blick nicht viel miteinander zu tun haben. Aber im Hintergrund schwelt bereits die Debatte um den weiteren Umgang der EU mit dem Kreml. Und auch da ist ein Termin im Juli von Belang: Bis Ende des Monats gelten die von der EU verhängten Strafmaßnahmen gegen Russland.

Wien und Berlin im Gleichklang

Der Zwist darüber, ob sie verlängert oder aufgeweicht werden sollten, müsste bis dahin also gelöst werden. Denn den Beschluss dazu müssen die EU-Staaten einstimmig fällen. Diese Einmütigkeit ist jedoch brüchig. Theoretisch ist die Lage übersichtlich: Die Sanktionen, die die Gemeinschaft - ebenso wie die USA - wegen des Konflikts in der Ukraine und die von Russland annektierte Halbinsel Krim ergriffen hat, müssten verlängert werden. Denn die Aufhebung der Handels- und Reisebeschränkungen knüpft die EU an die Erfüllung des Minsker Abkommens, das unter anderem einen Waffenstillstand und politische Regelungen, etwa zu Lokalwahlen, vorsieht.

Doch die Umsetzung der Vereinbarungen läuft mehr als schleppend. Trotzdem werden in einigen Hauptstädten schon Überlegungen gewälzt, wie die Strafmaßnahmen gelockert werden könnten. Beispielsweise in Berlin und Wien. Der österreichische Vizekanzler und Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner betont wie Außenminister Sebastian Kurz immer wieder, dass Sanktionen kein Selbstzweck seien. Der deutsche Chefdiplomat Frank-Walter Steinmeier sieht das ähnlich. Erst vor wenigen Tagen ließ er seinen Sprecher dafür plädieren, auf eine "intelligente Art und Weise" mit den Strafmaßnahmen umzugehen: Bei substanziellen Fortschritten müsse auch ein "stufenweiser Abbau des Sanktionsinstrumentariums" möglich sein. Andere Länder wie Ungarn und Italien sind ebenfalls skeptisch gegenüber einer automatischen Verlängerung der Einschränkungen. Zumindest auf Gespräche wird in der EU-Kommission gesetzt - wenn auch in einem genau definierten Rahmen. Denn die Ankündigung einer Reise von Präsident Jean-Claude Juncker nach St. Petersburg in zwei Wochen hat schon für Spekulationen über eine erneute Annäherung an Russland genährt.

"Reise nicht nach Moskau"

Juncker hielt dem entgegen: "Ich reise nicht nach Moskau, sondern zu einem Wirtschaftsgipfel." Gleichzeitig wies auch er auf die EU-Position hin, dass die Sanktionen und das Minsker Abkommen miteinander in Verbindung stehen. Daher sehen etliche Experten ebenfalls wenig Spielraum für eine Lockerung der Beschränkungen. "Zwar ist das Umfeld für eine Verlängerung der Sanktionen wegen der Skepsis mancher Mitgliedstaaten komplizierter geworden, doch sind die Vorbehalte einiger Minister meist an das heimische Publikum gerichtet", sagt Hrant Kostanyan von der Brüsseler Denkfabrik CEPS (Centre for European Policy Studies). Auf EU-Ebene könnten die Politiker hingegen nur schwer für eine Aufweichung der Maßnahmen argumentieren, solange die Vereinbarungen von Minsk nicht erfüllt seien. Dass außerdem Staaten wie Polen ihre Haltung überdenken könnten, wenn dort die Nato-Präsenz erhöht wird, glaubt Kostanyan nicht. "Ich sehe diese Verknüpfung nicht", sagte er zur "Wiener Zeitung". Es gebe schlicht keine Grundlage für eine Lockerung der Sanktionen, meint der Politologe: "Es wäre durch nichts gerechtfertigt." Vielmehr sei es wichtig, Russland zu verstehen zu geben, dass es nicht alles tun könne, was es wolle. Entscheidet sich die EU anders, würde das laut Kostanyan eines bedeuten: eine Bankrotterklärung.