Zum Hauptinhalt springen

"Ein bisserl visionär"

Von Marina Delcheva

Politik
Staatssekretär Mahrer fordert im Interview ein neues Stiftungsrecht und ein neues Crowdfundinggesetz.
© Luiza Puiu

Harald Mahrer, Staatssekretär im Wirtschafts- und Wissenschaftsministerium, über Crowdfunding, Baustellen im Bildungsbereich und wieso plötzlich Deutschland das bessere Österreich ist.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 9 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

"Wiener Zeitung": Früher hat man gesagt, Österreich ist das bessere Deutschland. Jetzt deuten alle Wirtschaftsindikatoren auf das Gegenteil hin. Wie konnte es so weit kommen?

Harald Mahrer: Deutschland hat unter Schröder und Fischer seine gesamten System- und Arbeitsmarktreformen gemacht, die zum Teil gar nicht so einfach waren für die Bevölkerung, Stichwort Harz IV. Das hat dazu geführt, dass sich die deutsche Wirtschaft in den letzten Jahren schneller an gewisse Gegebenheiten angepasst hat. Wir haben ein sehr gutes, aber kostspieliges Sozialsystem und einen ordentlichen Schuldenrucksack. Wenn man so will, haben wir Reformmaßnahmen versäumt, die in Deutschland einfach früher gesetzt wurden.

Sie beteuern immer wieder, Österreich im wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Bereich zum Innovations-Führer machen zu wollen. Wie wollen Sie das machen?

Wir verdienen sechs von zehn Euro unserer Wertschöpfung auf den Weltmärkten. Auf diesen Weltmärkten sind wir nicht deshalb erfolgreich, weil wir so niedrige Lohn-Stück-Kosten haben, sondern, weil die Produkte sehr gut sind. Ganz simpel: Der Wohlstand in diesem Land kann nur aufrecht erhalten werden, wenn wir weiter innovative Betriebe haben, die im internationalen Wettbewerb erfolgreich sind. Das heißt, wir müssen auf Bildung, Forschung und Entwicklung setzen. Und wenn ich von Innovation-Leader spreche, meine ich auch Sozialinnovation.

Das Investitionsklima ist aufgrund des schwachen Wirtschaftswachstums und politischer Unsicherheiten nicht besonders gut. Wie sollen die Investitionen wieder angekurbelt werden?

Vertrauen. Wenn wir in öffentlichen Debatten eine Kommunikation der Verunsicherung haben, die dazu führt, dass Unternehmen keine Planungssicherheit empfinden, ich im Umfeld sehe, dass die Wirtschaftslage von einer Seitwärtsentwicklung geprägt ist, dann führt das automatisch zu einer Investitionszurückhaltung. Und das ist Gift für die Innovationsfähigkeit und fürs Wachstum. Wir brauchen auch Investitionsanreize, durchaus steuerliche. Gerade wenn es um Hochrisiko-Gründungen oder Neugründungen geht, wäre ich für Attraktivierungen.

Die ÖVP möchte die Steuerreform in erster Linie durch Kürzungen und Einsparungen finanzieren und lehnt neue Steuern ab. Wo soll nicht gekürzt werden?

Ich glaube, dass der Bildungs-, Forschungs- und Entwicklungsbereich auch in Zukunft prioritär sein werden. Im Bildungsbereich ist viel Geld da, da könnten wir in neue Bildungsvorhaben umschichten.

Im Vorfeld der Wirtschaftskammerwahl beklagen vor allem kleine und Ein-Personen-Unternehmer (EPU), dass sie sich nicht gut von der Kammer repräsentiert fühlen. Gibt es Reformbedarf bei der Kammer?

Verbessern kann man sich immer. Ich kann nur aus eigener Erfahrung sagen: Wann immer ich als Unternehmer eine Notwendigkeit gehabt habe, bin ich da bestens betreut worden. Ich glaube vielmehr, dass die Veränderung in der Wirtschaftsstruktur dazu geführt hat, dass wir viel mehr EPUs mit speziellen Erwartungshaltungen haben. Aber ich habe es immer sehr gut gefunden, dass es eine gesetzliche Vertretung für alle gibt, egal ob sie ganz groß oder ganz klein sind.

Die Start-up-Szene wächst in Österreich, gleichzeitig haben junge Unternehmer Schwierigkeiten, an Geld zu kommen, weil die Banken keine Kredite vergeben und wenig Investoren da sind ...

Wir haben österreichweit traditionell einen sehr hohen Anteil an klassischer Bankfinanzierung. Das ist in anderen Ländern anders. Durch die strengen regulatorischen Regime für Banken wissen wir, dass Geld zwar ausreichend vorhanden ist, aber unzureichend zu den Unternehmen kommt. Was wir bei uns noch kaum haben, ist der gesamte Bereich des Crowdfundings. Wir haben auch keine Wachstumsbörse. Es gibt für kleine Unternehmen keinen Kapitalmarkt. Derzeit laufen aber intensive Verhandlungen zum Crowdfunding-Gesetz.

Wie soll das Crowdfunding-Gesetz aussehen?

Diejenigen, die das Geld einsammeln, sollen das möglichst unkompliziert machen können. Auf der anderen Seite sollen Anlegerschutzinteressen gewahrt werden, damit es zu keinen Pyramidenspielen oder Abzocke kommt. Da muss es eine klare Kennzeichnung geben, dass es ein Hochrisikogeschäft ist. Derzeit dürfen Unternehmen über bestehende Plattformen wie zum Beispiel Conda höchstens 250.000 Euro einwerben. Das ist, wie wir aus internationalen Beispielen wissen, zu wenig. Da hätten wir gern ein höheres Limit. Der Koalitionspartner wünscht sich auch einen Maximalbetrag, den man als Privater pro Jahr in ein Projekt investieren darf.

Werden Sie sich mit dem Koalitionspartner einigen?

Ich glaube ja. Wir verhandeln schon länger. Eigentlich länger als mir lieb ist, weil ich darin auch eine Arbeitsmarkt belebende Maßnahme sehe, nicht nur eine innovationspolitische Maßnahme. Im Übrigen geht es hier nicht nur um Unternehmen. Es gibt sicher auch Kommunen und Gemeinden, die Crowdfunding gern für die Finanzierung von kommunalen Projekten nutzen würden.

Kommen wir zur Bildung: Sie sitzen ja in der Bildungsreformkommission. Was ist die größte Baustelle im Bildungsbereich?

Wir sind in Österreich noch immer unterschiedlicher Auffassungen, wo die Prioritäten zu setzen sind. Ein Teil ist der Meinung, man soll das in der Sekundarstufe machen, diese ewige Türschilddebatte Gymnasium oder Gesamtschule. Und ein Teil ist der Meinung, wir sollten dorthingreifen, wo die Probleme entstehen, nämlich im frühkindlichen und im Volksschulbereich. Und dort sehe ich die größte Baustelle. Wir haben zu wenig frühkindliche Sprachförderung, zu wenig Talentorientierung auch in der Volksschule.

Soll dann jedes Kind ins Gymnasium können?

Das würde ja unterstellen, dass das Gymnasium immer die bessere Schule ist. Und da sind wir beim Kern der Debatte: Es gibt gute und schlechte Gymnasien, und es gibt gute und schlechte Neue Mittelschulen. Es kommt auf den Lehrer und die Lehrerin an und darauf, was in der Klasse passiert, unabhängig davon, was auf dem Türschild steht.

Das Thema Gesamtschule ist aus den Verhandlungen der Bildungsreformkommission ausgeklammert.

Ich gehe fix davon aus, dass die Frau Bildungsministerin, weil sie eine Anhängerin der Gesamtschule ist, das Thema irgendwann aufbringen wird, aber es ist der falsche Fokus. Wir haben schon eine Gesamtschule - von sechs bis zehn. Und sichtlich haben wir aber im Sekundarbereich sehr unterschiedliche Niveaus bei den Kindern. Dann funktioniert aber etwas in der Gesamtschulstufe Volksschule nicht richtig, oder?

Jeder vierte Jugendliche kann nicht richtig lesen, obwohl wir im OECD-Schnitt sehr viel Geld für den Schulbereich ausgeben. Wie kann man dieses Verhältnis umkehren?

Indem wir mal einen doppelten Kassasturz machen. Legen wir die Zahlen auf den Tisch, schauen wir, wofür wir was ausgeben und was es konkret bringt. Wir geben sehr viel aus, aber es stellt sich der Effekt nicht ein. Also kann irgendwas im System nicht richtig funktionieren.

Wie kann man das Zusammenspiel von Wissenschaft und Wirtschaft hierzulande verbessern?

Wir haben ein öffentliches Hochschulwesen und das muss uns wichtig sein. Im unternehmensnahen Forschungsbereich sind zusätzliche Mittel aufstellbar. Da ist mir ein neues, gemeinnütziges Stiftungsrecht ein Anliegen. Wenn Sie heute als Stiftung etwas ausschütten, zahlen Sie 25 Prozent Steuern, obwohl Sie es für einen gemeinnützigen Zweck hergeben. Das gehört verbessert. In Deutschland werden pro Jahr 13 Milliarden von gemeinnützigen Stiftungen ausgeschüttet, in der Schweiz 1,2 und bei uns 50 Millionen. Wir brauchen diese Mittel in Zukunft.

Viele junge Forscher gehen ins Ausland, weil sie dort mehr verdienen und bessere Arbeitsbedingungen vorfinden. Wie kann man diesen Brain-Drain aufhalten?

Wir haben eigentlich gleichzeitig auch einen Brain-Gain. Die etablierten Forscher im Spitzenbereich kommen auch wieder retour, anders als bei den Jungen. Wir haben einen hohen Lebensstandard und die Teams werden in den Forschungsergebnissen immer besser. Das ist attraktiv. Der zweite Aspekt ist, dass wir gar nicht zulassen, dass die Leute da bleiben, zum Beispiel, wenn sie einen ausländischen Background haben, Stichwort Rot-Weiß-Rot-Card. Bei den Leuten im Land ist es sehr differenziert. Aber bei den Teams, die Spitzenforschung in Bereichen wie Mathematik, Physik, Informatik, Werkstofftechnik betreiben, höre ich, dass sie mehr exzellente Leute haben, als sie aufnehmen können. Ich finde das gar nicht schlecht, wenn jemand eine Zeit lang woanders hingeht. Entscheidend ist, dass er wieder zurückgeholt wird.

Wie?

Ich kann mir durchaus vorstellen, dass wir Headhunting für Top-Professoren mit ihren gesamten Teams betreiben. Umso wichtiger sind hier Konstruktionen von gemeinnützigen Stiftungen. Es könnte Stiftungen geben, wo Industriebetriebe oder vermögende Privatpersonen, denen die Idee gefällt, dort einzahlen und aus diesen Erträgen würden wir Sonderkonstruktionen finanzieren, mit denen wir solche World-Champions herholen. Aber die Wissenschafter selbst sollten dann sagen, welche Teams interessant sind und nach Österreich kommen sollen. Man muss einfach ein bisserl visionärer denken.