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Ein Blick hinter die Kulissen

Von Ines Scholz

Politik

US-Militäroperation in Syrien brachte neue Erkenntnisse über die Funktionsweise des IS.


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Washington/Damaskus/Wien. Es war der bisher spektakulärste US-Einsatz gegen ein Führungsmitglied des Islamischen Staates (IS) auf syrischem Boden: Mitte Mai hatte die US-Sondereinheit Delta Force in einer nächtlichen Kommandoaktiondas Haus von Abu Sayyaf in der Stadt Al-Amr gestürmt. Der eigentliche Auftrag lautete, den Tunesier festzunehmen und zwecks Verhör in den Irak zu verbringen. Von dem Mann, von dem man wusste, dass er IS-Militäreinsätze leitete und für den Ölschmuggel der Terrorgruppe verantwortlich war, erhoffte man sich wichtige Informationen. Doch Fathi ben Awn ben Jildi Murad - Kampfname Sayyaf- leistete der Elitetruppe heftige Gegenwehr und wurde im Kugelhagel getötet.

Für die US-Aufklärung war die Operation nachträglich gesehen dennoch von unschätzbarem Wert: In Sayyafs Haus wurden Unterlagen erbeutet, die Aufschluss über die Kommandostruktur der Terrormiliz geben. Wie die "New York Times" ("NYT") am Montag unter Berufung auf US-Regierungsvertreter berichtete, sind unter anderem Laptops und Mobiltelefone sichergestellt worden. Die Analyse des Materials habe auch Einblicke in Finanzstruktur und Sicherheitsmaßnahmen der Miliz gegeben, hieß es weiter. Auch die während der Hausdurchsuchung gefangen genommene Ehefrau Sayyafs soll bei Verhören durch US-Geheimdienstbeamte wichtige Informationen preisgegeben haben. "Von dieser Razzia haben wir einiges erfahren, das wir früher nicht wussten", zitiert das Blatt einen führenden Mitarbeiter des amerikanischen Außenministeriums. "Jeden Tag wird das Bild ein wenig klarer darüber, was diese Organisation ist, wie ausgeklügelt sie ist, wie global sie agiert und wie gut sie vernetzt ist."

Noch konnten allerdings nicht alle Informationen ausgewertet werden - die Experten durchforsten gerade das Datenmaterial im Umfang von vier bis sieben Terrabyte. Vieles wird zudem als geheim klassifiziert, weil man dem IS keine Anhaltspunkte für mögliche künftigeMilitärziele geben will. Entsprechend bedeckt halten sich die Eingeweihten.

Eine US-Operation soll jedenfalls bereits auf Grundlage der neuen US-Erkenntnisse stattgefunden haben: der Luftangriff Ende Mai im Nordosten Syriens. Dabei soll das einflussreiche IS-Mitglied Abu Hamid getötet worden sein, was von den Islamisten allerdings nie bestätigt wurde. Die Hausdurchsuchung in Al-Amr hatte offenbar Hinweise über den geheimen Aufenthaltsort des für Scharia-Gerichte und Stammesangelegenheiten zuständigen IS-Emirs geliefert.

Das Hauptziel der Anti-IS-Koalition bleibt freilich der oberste IS-Anführer und selbsternannte Kalif Bakr al-Bagdhadi - und der hat ein umfangreiches Regelwerk an Maßnahmen um sich herum geschaffen, die seine Sicherheit gewähren sollen. Bekannt ist nun, dass sich der gebürtige Iraker in seinem Hauptquartier in Rakka regelmäßig mit den höchsten Kommandanten und "Emiren" seines blutrünstigen Gottesstaates trifft. Diese werden dabei von Vertrauenspersonen mit Pick-ups abgeholt, Mobiltelefone sind tabu, da sie leicht ortbar sind. Eine wichtigere Rolle als bisher bekannt kommt bei der Weitergabe von Informationen deshalb laut den neuen US-Erkenntnissen den Ehefrauen der Anführer zu, die Informationen nur in direkten Kontakt austauschen und diese dann weiterleiten.

50 Prozent fließen ins Budget

Seit der Sicherstellung des Datenmaterials in Sayyafs Haus weiß man, dass die Hälfte der Einnahmen des IS aus Ölindustrie und -schmuggel in das operative Budget der Terrororganisation fließt, der Rest gehe an die Betreiber der eroberten Ölanlagen und deren Mitarbeiter. Anders als bisher angenommen, handele es sich bei den Arbeitern also offenbar um keine ausgebeuteten Ortsansässigen, sondern um gut bezahlte IS-Angestellte, was diese zu einem legitimen Ziel mache, zitiert die "NYT" in ihrem Bericht namentlich nicht genannte Offizielle.

Entführungen zur Erpressung von Lösegeldern stellen eine weitere wichtige Einnahmequelle der Dschihadisten dar - Sayyaf, einem der Haupt-Strippenzieher dieses lukrativen Wirtschaftszweiges, der auch den illegalen Ölschmuggel des IS orchestriert haben soll, wurde vor knapp einem Monat das Handwerk gelegt. Doch er war nur eine von vielen Führungsfiguren des Terrorregimes.