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In diesem Jahr geht es den Flüchtlingshilfeorganisationen mit der Innenministerin gleich wie mit dem Christkind. Wir legen ihr einen Brief ins Fenster, und hoffen, dass er abgeholt und gelesen wird. In banger Erwartung, was sich dann unter dem Christbaum finden wird. Advent ist die positiv gespannte Hoffnung auf das, was da kommen wird.
Der Brief ist lang, aber mild und sanft im Ton. Er hebt an mit dem Wunsch nach einer neuen Sprache, die nicht mehr nach Härte und Verschärfung ruft und sich fragt, ob man nicht zu weich gewesen sei, zu Menschen, die alle Härten des Lebens schon erlebt haben, sondern danach fragt, was richtig, den Menschen und der Sache angemessen wäre. Angemessen und rechtmäßig, sowohl den Asylwerbern als auch den Österreicherinnen und Österreichern gegenüber.
Ein weiterer Wunsch an die neue Ministerin ist, bei den gemeinsam vereinbarten Zielen zu bleiben. Alle, ob Politik, Caritas, Diakonie, Volkshilfe oder Rotes Kreuz wünschen ein rasches, faires Asylverfahren, das rechtsstaatlichen Prinzipien entspricht und allen nützt, weil es Klarheit schafft, ob Anspruch auf Asyl besteht oder nicht. Ob jemand in seinem Heimatland verfolgt wurde oder nicht, das kann nicht durch Augenmaß beurteilt werden, das entscheidet auch keine Schätzung, sondern nur die individuelle Prüfung seines Falles. Dazu braucht es vor allem eines, genügend gut qualifiziertes Personal, das in der Lage ist, Entscheidungen zu fällen, die auch halten.
Darum ist es derzeit schlecht bestellt. Aus der Evaluation des neuen Asylgesetzes, die die NGOs vorgelegt haben, geht hervor, dass fast 70 Prozent der von der zweiten Instanz, dem UBAS, inhaltlich überprüften Asylbescheide der ersten Instanz, aufgehoben werden mussten. Die Beamten des Bundesasylamtes sind offensichtlich überfordert, anders ist diese Fehlerquote nicht zu erklären. Ein österreichischer Beamter hat die vielfache Anzahl von Fällen zu prüfen wie sein deutscher, oder schweizer Kollege. Mehr gut geschulte und motivierte Beamte sind dringend notwendig. Die Anforderungen sind hoch. Um sach- und menschengerecht über Schicksale entscheiden zu können, braucht es einschlägige juristische Kenntnisse des Asyl- und Verwaltungsrechts und interkulturelle sowie psychologische Kenntnisse, um besonders Jugendlichen oder traumatisierten Personen gerecht werden zu können.
Das ist nur einer der unzähligen Vorschläge, die die NGOs der Ministerin unter den Christbaum gelegt haben, um das gemeinsame Ziel, Österreich als Asylland zu erhalten, zu erreichen. Hoffentlich wird das Paket ausgepackt und nicht zurückgeschleudert oder in die Ecke gelegt, weil die NGOs als natürliche Gegner begriffen werden, von denen außer einer üblen Nachrede nichts zu erwarten wäre. Die Hilfsorganisationen haben viel Expertise und Problemlösungskapazität einzubringen. Kaum gibt es in Österreich ein Hochwasser oder andere Notlagen, werden wir gerufen und wird uns hohe Kompetenz bescheinigt. Es wäre schön, wenn wir uns zur Erkenntnis durchringen könnten, dass es gemeinsam leichter ist als gegeneinander.
Schließlich, um nicht unbescheiden zu sein, noch ein kleiner Wunsch. Für eine Ministerin wäre es ein Leichtes, mit den Märchen aufzuräumen, mit denen politisches Kleingeld gemacht wird. Das Wörtchen Asyl ist kein Zauberwort, das Strafverfahren außer Kraft setzt und Gefängnistüren öffnet. Auch Straftäter, die ihre Strafe abgesessen haben, können bis zu sechs Monate in Schubhaft behalten werden, um dort ihr Asylverfahren abzuwarten. Die Behörden müssen aber auch in die Lage versetzt werden, das Verfahren in dieser Zeit abzuwickeln, will man nicht Menschen bis zu sieben Jahre in Sicherheitsverwahrung nehmen, weil man sich Beamte sparen möchte. Keine Märchen bitte, mehr Realitätssinn und Augenmaß.
So steht´s im Brief, der nun im Fenster liegt. Kaum habe ich das Fenster geschlossen, hat das Christkind schon Gestalt angenommen. Ich freue mich, wenn Liese Prokop ihn liest und im Herzen behält. Dazu zünd ich auch ein Kerzerl an.
Michael Chalupka ist evangelischer Pfarrer und Direktor der Diakonie Österreich, des Sozialwerks der Evangelischen Kirchen