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Ein Brite in Wien

Von Melanie Sully

Analysen

Brexit und Atomkraft: Der britische Premier David Cameron stattet Bundeskanzler Faymann einen Besuch ab.


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Bisher laufen die Kontakte zwischen Wien und London über die zweite Reihe. Außenminister Philip Hammond war zu Besuch bei seinem Kollegen Sebastian Kurz - und umgekehrt. Großbritannien versucht im Sinne von "soft diplomacy" Partner zu gewinnen, die am Brüsseler Verhandlungstisch zu Verbündeten werden könnten. Hintergrund sind die britischen EU-Reformwünsche, um einen Verbleib der Briten in der Union sicherzustellen. Wien spielt dabei jedoch nur eine Nebenrolle, die Topdestinationen der Hauptstadttour des britischen Premiers David Cameron waren Berlin, Paris und Warschau.

Bei Angela Merkel setzte Cameron auf eine Charme-Offensive. Dabei wirkte er mitunter wie der kleine Neffe, der in der Familie gehalten werden soll, aber manchmal doch ziemlich irritiert. So hat Cameron nach einer Rüge Merkels seine Idee von Quoten für EU-Migranten prompt fallengelassen. Mit Frankreich hat Großbritannien zwar fast traditionell ein angespanntes Verhältnis, aber angesichts der Terrorgefahr besteht kein Zweifel, dass London und Paris Schulter an Schulter stehen. Cameron sprach nach den Attentaten von Paris sogar einige Sätze auf Französisch; das haben vor ihm nur Churchill und Blair versucht - mit unterschiedlichem Erfolg. Polen dagegen betrachten die Briten als ein Land, dass sie selbst gegen Diktaturen verteidigt und dessen Piloten eine besondere Rolle in der "Luftschlacht um Britanien" gespielt haben. Derzeit allerdings sind die Beziehungen zu Warschau getrübt, Pläne, die Zulagen für EU-Migranten zu kürzen, würden polnische Arbeiter besonders treffen.

Aber Österreich? Ein kleines Land, das insgesamt weniger Einwohner zählt als London allein. Mit welchen Erwartungen besucht der britische Premier Wien, die Stadt der Musik und Kultur?

Nun, auch das kleine Österreich hat in der EU eine Stimme. Und bei den Gesprächen der beiden konservativen Außenminister wurde klar, dass Wien bei einigen britischen Ideen - etwa die Streichung von Kindergeld für EU-Migranten - ein Verbündeter sein könnte. Cameron will, dass Arbeitsuchende zuerst ins Sozialsystem einzahlen, bevor sie Mittel daraus erhalten - eine Idee, die einigen in der ÖVP durchaus gefällt. Auch der nebulöse Begriff Subsidiarität weckt in Wien und London positive Assoziationen: Mehr Rechte für nationale Parlamente finden auch in Österreich viele nicht unbedingt schlechtet.

Allerdings genügt der Draht der beiden Außenminister nicht, um den Graben zu überbrücken, der Wien und London an anderer Stelle trennt: Atomkraft. Im Gegensatz zu Österreich hat Großbritannien - trotz eines verheerenden Unglücks in Windscale Ende der 1950er - keine Hemmungen, wenn es um die friedliche Nutzung der Atomenergie geht. Das Thema bewegt auf der Insel keine Massen. Österreich mobilisiert gegen die AKW-Pläne in Hinkley Point. Die Einwände in England beziehen sich auf die Kosten, kaum aber auf die Sicherheit. Im Sommer hat die Bundesregierung nun eine Klage gegen den Bau bei der EU-Kommission eingebracht. Staatliche Subventionen für das Projekt widersprechen aus Sicht Wiens den EU-Grundsätzen; dieser Kampf hat für Bundeskanzler Werner Faymann durchaus auch symbolischen Wert. Für Cameron wäre die Aufgabe des Projekts ein Desaster, deshalb wird er versuchen, Wien zu überreden bzw zu neutralisieren. Falls die EU sich gegen Hinkley Point querlegt, würden Brexit-Befürworter ein gutes Argument in der Hand haben.

Melanie Sully ist Politologin und leitet das in Wien ansässige Institut für Go-Governance.