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Ein Bündnis am Bund

Von WZ-Korrespondent Wu Gang

Politik

Die Ukraine-Krise hat sich als Katalysator auf die russisch-chinesischen Beziehungen ausgewirkt.


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Wladimir Putin auf Partnersuche.

Peking. Eigentlich ist es absurd: In Thailand verhängt die Armee den Ausnahmezustand, in Vietnam müssen nach gewalttätigen Protesten 8000 Chinesen evakuiert werden, Japan denkt über neue Militärstützpunkte in der Nähe der umstrittenen Diaoyu/Senkaku Inseln nach - und in Shanghai findet die "Konferenz für Interaktion und vertrauensbildende Maßnahmen in Asien" (CICA) statt. Zwar richtet sich der Gipfel eher an zentralasiatische Länder von Tadschikistan bis zum Iran, und unter normalen Umständen würde sich das Interesse an der beschaulichen Plauderstunde eher in Grenzen halten. Allerdings nützt auch Russlands Präsident Wladimir Putin die Gunst der Stunde für einen offiziellen Staatsbesuch, und so patrouillieren entlang der historischen Uferpromenade bewaffnete Polizisten mit Hunden, Spezialteams der Polizei und Armee-Einheiten, unterstützt von beeindruckenden 300.000 freiwilligen Helfern.

Wodka und Sandwiches

Die bekamen vom hohen Besuch erwartungsgemäß nichts zu sehen. Putin, der mit einer kleinen Willkommens-Zeremonie empfangen wurde, traf sich vor den Konferenzgesprächen zunächst mit Chinas Staatspräsidenten Xi Jinping. Ein Wiedersehen unter Freunden: Xis erste Reise als Staatsoberhaupt führte ihn nach Moskau, bei den Olympischen Spielen in Sotschi war er einer der wenigen internationalen Spitzenpolitiker, die Putin herzlich umarmten, und selbst als Tröster der russischen Seele war er bereits im Einsatz. Während des Apec-Gipfels im Oktober 2013 auf Bali wurde der russische Präsident 61 Jahre alt, doch wirklich feiern wollte eigentlich niemand mit dem Geburtstagskind - bis auf Xi Jinping. "Wir haben im Hotel Wodka getrunken und Sandwiches gegessen, wie alte Freunde von der Universität", erinnerte sich der Jubilar später.

Eine Männerfreundschaft, die dieser Tage auch auf staatlicher Ebene vertieft werden dürfte - nicht zuletzt mit barer Münze. So gab Xi in einer ersten Stellungnahme bekannt, dass die beiden Länder ihr Handelsvolumen bis 2015 von 88 auf 100 Milliarden US-Dollar auszubauen gedenken. Doch dies ist nur der Startschuss für eine ganze Reihe an Handels- und Kooperationsvereinbarungen, die eine hochkarätige russische Delegation nach Shanghai mitgebracht hat. 43 Verträge sind vorbereitet, davon sollen mindestens 30 unterzeichnet werden. Geplant sind der gemeinsame Bau eines großen Hubschraubers und eines Passagierflugzeugs, auch Kooperationen in der Weltraumtechnik scheinen beschlossene Sache zu sein - interessant nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass Russland bis 2020 die Zusammenarbeit mit Europa und den USA bei der Internationalen Raumstation ISS beenden will. Außerdem wollen die Asiaten als Alternative zu Visa und Master Card eine Partnerschaft mit ihrer Kreditkartengesellschaft Union-Pay anbieten. Was höchstwahrscheinlich klappen wird, denn im Zuge der amerikanischen Sanktionen wurden einige Finanzdienste in Russland eingestellt.

Chinas Tankstelle

Spätestens an diesem Punkt ist klar, wie stark sich die Ukraine-Krise als Katalysator auf die russisch-chinesischen Beziehungen ausgewirkt hat - und wie China als einzige Partei davon profitiert hat. Denn zumindest symbolisch könnte Putin mit seinem aktuellen Staatsbesuch die endgültige Abkehr vom Westen und die Bildung eines neuen Ostblocks ausrufen. Schon im Vorfeld sah er die bilateralen Beziehungen auf einem Allzeit-Hoch: "China ist uns ein Freund, auf den Verlass ist. Es ist ganz unzweifelhaft Russlands oberste diplomatische Priorität, die Kooperation mit China zu erweitern." Allerdings ist dieser Schulterschluss auch einer, zu dem Putin nach den eingefrorenen Beziehungen zum Westen keine Alternativen mehr hat. Das bringt Russland in eine geschwächte Position, die sich vor allem bei den Verhandlungen über ein Gaslieferabkommen auswirkt. Die Gespräche darüber ziehen sich seit mehr als 20 Jahren, doch seit einiger Zeit geht es überraschend schnell vorwärts. Bisher war eine Einigung stets am Gaspreis gescheitert: Russland verlangte dem Vernehmen nach 360 bis 400 Dollar je 1.000 Kubikmeter, während die Chinesen höchstens 300 Dollar zu zahlen bereit waren. Die Tatsache, dass sich Europa nun nach neuen Gasquellen etwa in den USA umsieht, scheint ihnen in die Hände gespielt zu haben: Schon am Sonntag hat der staatliche Gaskonzern Gazprom mitgeteilt, dass ein auf 30 Jahre laufender Liefervertrag kurz vor dem Abschluss stünde, der die Inbetriebnahme einer neuen Rohrleitung nach Nordostchina für 38 Milliarden Kubikmeter im Jahr vorsieht. Zudem sei China an nicht näher genannten Energievorhaben auf der vor kurzem von Russland annektierten Krim interessiert.

Der Punkt überrascht, denn das russische Vorgehen in der Ukraine sorgte zunächst für Irritationen. Zum einen unterhielt China immer gute Beziehungen zur Ukraine, zum anderen gilt das Prinzip der Nichteinmischung als oberste Direktive der chinesischen Außenpolitik. Nachdem es Peking dabei jedoch in erster Linie um die eigenen Grenzen geht, hatte die Einverleibung der Krim keinen wesentlichen Einfluss auf das sich festigende Bündnis - zumal Russland in dieser Partnerschaft ohnehin in der schwächeren Position ist. Das zeigen alleine die Wirtschaftsdaten: Im vergangenen Jahr nahmen die chinesischen Ausfuhren nach Russland um 12,6 Prozent zu, Russlands Exporte nach China gingen hingegen um zehn Prozent zurück. Und der Abstand wird immer größer. So groß, dass auch russische Ökonomen wie der ehemalige Medwedew-Berater Wladislaw Inosemzew davor warnen: "Den Chinesen genügt es, wenn wir die Tankstelle für ihre Wirtschaft bleiben."

Westen die Stirn bieten

Geopolitisch scheint die Kooperation jedoch naheliegend, schließlich haben die zwei Länder einiges gemeinsam: Beide haben ein Veto-Recht im UN-Sicherheitsrat, beide werden regelmäßig von Menschenrechtsorganisationen kritisiert, beide eint die Ablehnung westlicher Werte und ein autokratischer Führungsstil. Zudem haben beide einen gewissen Bedarf an Bündnispartnern: Moskau bleiben aktuell keine anderen Alternativen, China will vor allem seine Position bei den Konflikten in der Süd- und Ostchinesischen See stärken. Der Kreml begrüßt außerdem Pekings Aufstieg als Beitrag zu einer multipolaren Welt, die gleichzeitig eine Schwächung der Vereinigten Staaten mit sich bringen würde.

Dem Westen die Stirn zu bieten ist schließlich auch der einigende Kitt, der die beiden Blöcke momentan zusammenschweißt. US-Finanzminister Jacob Lew wirkte bei seinem Besuch in Peking vergangene Woche entsprechend hilflos, als er seine Gastgeber anflehte, keine Schritte zu unternehmen, die eine Aufweichung der westlichen Sanktionen gegenüber Russland bewirken könnten. Putin wird jedenfalls nicht mit leeren Händen zurück nach Moskau fliegen.

Gemeinsame Militärübung

Befeuert könnte die Blockbildung auch durch die jüngsten Vorfälle werden, wonach die USA fünf chinesische Militärhacker wegen Cyberspionage vor einem Bundesgericht in Pennsylvania angeklagt haben. Die Verdächtigen sollen in den Jahren 2006 bis 2014 in die Computernetzwerke von fünf US-Unternehmen und einer Gewerkschaft eingedrungen sein. Dort sollen sie Industriegeheimnisse und vertrauliche Informationen über Unternehmensstrategien gestohlen haben, um chinesischen Firmen einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. Zu den Firmen, die von den Hackern angegriffen wurden, gehören demnach der Aluminiumproduzent Alcoa und der Kraftwerkshersteller Westinghouse. Auch ein Unternehmen aus der Solarenergiebranche soll betroffen gewesen sein. China wies die Vorwürfe empört zurück, sieht sich selbst als Opfer von "US-Cyberattacken" und stellte US-Botschafter Max Baucus zu einer "ernsten Stellungnahme" ins Außenministerium ein.

Die Zusammenarbeit mit den USA in einer Arbeitsgruppe gegen Cyberkriminalität wurde ausgesetzt, auch weitere Aufkündigungen bei militärischen Kooperationen scheinen denkbar. Im Gegensatz dazu flanierten am Montag russische Matrosen mit einigen jungen Damen aus Shanghai im Arm über den Bund. Sie nehmen mit dem Raketenzerstörer "Varyag" an einem siebentägigen Manöver in der Ostchinesischen See teil. Es ist bereits die dritte gemeinsame Übung von China und Russland seit April 2012.