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In der Flüchtlingskrise setzt die EU auf die Nato und die Türkei.
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Brüssel. Das Flaggschiff ist auf den Namen "Bonn" getauft. Die drei Fregatten heißen "Fredericton", "Barbaros" und "Salamis". Auf mehrere hundert Besatzungsmitglieder kommt der Flottenverband unter deutschem Kommando; die Ausrüstung reicht von Leichtgeschützen und Fliegerfäusten bis zu einem Marineeinsatz-Rettungszentrum. Seit Tagen schon kreuzen die Schiffe in der Ägäis, im Gebiet zwischen Griechenland und der Türkei, bereiten sich die Mannschaften auf ihren Einsatz vor. Den hat die Nato vor gut drei Wochen beschlossen, doch ist der Startschuss dafür noch nicht gefallen.
Dabei wäre es vor allem Berlin sehr recht, wenn die Aktion zur Ortung von Flüchtlingsbooten und Schlepperrouten schon bald beginnt, am besten noch am Wochenende. Denn Deutschlands Regierung steht unter Druck - und sie gibt ihn weiter. Wenn am Montag Bundeskanzlerin Angela Merkel mit den anderen 27 Staats- und Regierungschefs der EU sowie ihrem türkischen Amtskollegen in Brüssel zusammen kommt, braucht sie zumindest einen Teilerfolg. Sie muss ihre Partner dazu drängen, die gemeinsam gefällten Beschlüsse umzusetzen und dann die Öffentlichkeit davon überzeugen, dass die Bemühungen zur Bewältigung der Flüchtlingskrise Wirkung zeigen. "Wir schaffen das", hat Merkel immer wieder betont und an den Plänen für eine europäische Lösung festgehalten.
Grenzschutz im Mittelpunkt
Dafür müssten aber die verschiedenen Rädchen des größeren Konzepts endlich ineinander greifen. Dazu gehören funktionierende Hotspots: Erstaufnahmezentren in Griechenland und Italien, wo die Schutzsuchenden registriert werden. Danach könnten die Menschen innerhalb der EU umgesiedelt werden. Dazu gehört aber auch ein verstärkter Schutz der Außengrenzen der Union - und die Möglichkeit, Migranten ohne Anspruch auf Asyl einfacher zurückschicken zu können.
Da wiederum kommt die Nato ins Spiel. Und die Türkei.
Auf eine Einbindung des Militärbündnisses und der EU-Beitrittskandidatin hat besonders Deutschland gepocht. Bei der Sicherung ihrer Grenzen ist die Union auf ihre Nachbarin angewiesen, und im Rahmen eines entsprechenden Aktionsplans war sie zu weit gehenden politischen und finanziellen Zusagen gegenüber Ankara bereit. Dazu zählen Visa-Erleichterungen, mindestens drei Milliarden Euro für Flüchtlingshilfe sowie die mögliche Umsiedlung syrischer Asylwerber direkt aus der Türkei.
Doch für gemeinsame Aktionen im Mittelmeer mussten erst die Grundlagen geschaffen werden. Denn die EU-Grenzschutzagentur Frontex darf nicht in türkischen Hoheitsgewässern operieren - und sie kann keine Flüchtlinge in ein Nicht-EU-Land zurückbringen.
Türkische Einwände
Die Nato hingegen, der sowohl die Türkei als auch Griechenland angehören, hätte das Mandat dazu. Sie bildet die Kommunikationsebene zwischen den Behörden der beiden Länder, die einander Jahrhunderte lang feindlich gegenübergestanden waren, zwischen dem Militär und den EU-Strukturen wie Frontex. Diese Kooperation zu gewährleisten, ist denn auch eine der Hauptaufgaben der Mission, die der Aufklärung, der Beobachtung sowie raschen Datenweitergabe dienen soll. So könnten beispielsweise Informationen über Routen von Menschenschleppern, die in der Türkei ihren Anfang nehmen, an die Türken weitergeleitet werden, die dann darauf schnell reagieren können. Selbst Boote stoppen sollen die Nato-Soldaten aber nicht.
Die Modalitäten des Einsatzes sind jedoch noch nicht genau fixiert. So soll sich Ankara dagegen gewehrt haben, dass griechische Schiffe im türkischen Hoheitsgebiet patrouillieren. Alternativen wären Einsätze unter deutscher oder kanadischer Flagge, die sich in dem Flottenverband neben der türkischen und griechischen finden. Auch die Details zur Rücknahme von Migranten durch die Türkei sind noch offen - ähnlich übrigens wie beim Aktionsplan mit der EU. Beides wird am Montag zum Gipfelthema werden.
Trotz der Verzögerungen streichen aber Diplomaten die Zusammenarbeit zwischen EU und Nato als positiv hervor. Dass die Militärallianz der Union in dieser Form in der Flüchtlingskrise beisteht, hätten vor einiger Zeit nicht viele geglaubt - auch wenn in Nato-Kreisen gleichzeitig gern auf die eigene Überlegenheit bei der Schnelligkeit von Beschlüssen verwiesen wird. Dazu hat allerdings ebenfalls der Druck Deutschlands beigetragen.
Die Nato-Beteiligung habe auf jeden Fall Signalwirkung, finden auch andere Experten. Es sei ein Zeichen an die Menschen in den Herkunftsländern der Asylwerber und an die Europäer selbst, stellt Janis Emmanouilidis von der Brüsseler Denkfabrik EPC (European Policy Centre) fest. So könne Merkel sagen: "Wir kriegen das in den Griff - und wir schaffen Sicherheit." Der Nato-Einsatz, der Aktionsplan mit der Türkei: All das seien neben den Umsiedlungen oder humanitärer Hilfe in den Krisenregionen Elemente, die in Summe dazu beitragen können, "die Situation zu managen". Denn eine vollständige Lösung des Problems werde es nicht geben.
Kostbare Reisefreiheit
Der Schutz der Außengrenzen hat für die Europäer aber auch eine andere Dimension: Er ist nötig, um die Binnengrenzen offenhalten zu können. Denn die Warnungen vor den Kosten, die ein Zerfall des Schengen-Raums für Reisen ohne Passkontrollen verursachen würde, fallen immer dramatischer aus. Die Schätzungen, wie hoch der Preis für die Volkswirtschaften der EU im Fall permanenter Kontrollen wäre, reichen von dutzenden Milliarden Euro pro Jahr bis hin zu 1,4 Billionen Euro im Zeitraum von zehn Jahren. Der politische und gesellschaftliche Schaden hingegen lässt sich kaum beziffern. Dennoch haben seit September des Vorjahres acht EU-Mitglieder die Prüfungen an ihren Grenzen wieder verstärkt.
Wie der Zerfall des Schengen-Raums verhindert werden kann, wird daher die Staats- und Regierungschefs ebenfalls beschäftigen. Ihre Vorschläge dazu hat die EU-Kommission drei Tage vor dem Gipfeltreffen präsentiert. Sie hat einen "Fahrplan" für eine "vollständige Wiederherstellung des Schengen-Systems" erstellt. Dieses soll bis Ende des Jahres wieder funktionieren.
Dafür müssten aber die Staaten wieder zu einer gemeinsamen Vorgangsweise zurückfinden, betonte Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos. Um bilaterale Grenzkontrollen wieder abschaffen zu können, müssten die Außengrenzen besser gesichert werden. Übernehmen soll diese Aufgabe nicht zuletzt die EU-Agentur Frontex, die zu einer europäischen Grenz- und Küstenwache ausgebaut werden soll. Ihren Entwurf hat die Kommission im Dezember vorgelegt, und nun drängt sie die EU-Länder sowie das Europäische Parlament dazu, dem Vorhaben bis Juni zuzustimmen. So könnte Frontex in seiner ausgebauten Form im Spätsommer starten.
Griechische Schwierigkeiten
Noch vorher sollen die Mitgliedstaaten die "Politik des Durchwinkens" beenden, so wie sie es sich auch selbst zum Ziel gesetzt haben. Sie könnten Asylwerber, die ihren Antrag erst in einem weiteren EU-Land stellen wollen, an der Grenze abweisen. Ebenso könnten sie Schutzsuchende in jenen Staat zurückschicken, in dem die Menschen erstmals EU- Boden betreten haben. Diese sogenannten Dublin-Regeln gelten schon jetzt. Da sie sich aber in der Flüchtlingskrise als nur teilweise umsetzbar erwiesen haben, will die Kommission in wenigen Wochen ein Konzept darlegen, wie das System zur Bearbeitung von Asylanträgen reformiert werden könnte.
Parallel dazu wird das Augenmerk auf Griechenland gerichtet, das beim Schutz der Außengrenzen eine Schlüsselrolle spielt. Dass es bei der Sicherung Mängel gibt, haben die EU-Institutionen bereits festgestellt. Der Regierung in Athen haben sie aber gleichzeitig personelle und finanzielle Hilfe angeboten.
Bis Mitte Mai hat Griechenland nun Zeit, die Störungen zu beheben. Gelingt das nicht, könnten andere Mitglieder beschließen, ihre nationalen Grenzkontrollen beizubehalten. Der "vollständigen Wiederherstellung des Schengen-Systems" würde das aber nicht dienen.