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Zwischen Russland und der Ukraine tobt auch ein Krieg der Weltbilder.
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Nirgendwo kann man symbolisch die Konfrontation von Wertsystemen und Weltbildern schöner sehen als in den zwei Archetypen, die einander in den Personen des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und des russischen Präsidenten Wladimir Putin gegenüberstehen. Es ist ein ungleiches Duell. Das ukrainische Staatsoberhaupt hat von westlicher Warte aus sicher seinen Charme: ein sensibler Künstler, der die Neuen Medien beherrscht und im Kampf gegen die russisch-militärische Übermacht geschickt als Softpower einsetzt. Für den Kreml-Herren ist er jedoch zu sehr westlichen Werten zugetan, die sowohl für Konsum und Oberflächlichkeit als auch für einen Werteverfall stehen. Es kommt somit in der Ukraine, neben der realen Auseinandersetzung, im weiteren Sinne zu einem "Clash of Civilizations", einem "Kampf der Kulturen" - frei nach dem Politikwissenschafter Samuel Phillips Huntington, der im gleichnamigen Werk 1996 die These aufstellte, im 21. Jahrhundert könnte es zu Konflikten zwischen verschiedenen Kulturräumen, im Besonderen der westlichen Zivilisation mit anderen Wertbildern wie jenen im chinesischen und im islamischen Kulturkreis, kommen.
So gesehen stimmt Huntingtons Analyse nicht nur in Bezug auf die größeren Reibungsflächen und Spannungen zwischen China und den USA, den islamisch und den christlich geprägten Wertegemeinschaften. Der Ansatz beschreibt auch einen Wertekonflikt innerhalb der westlich geprägten Sphäre. Stehen wir für ein eher konservatives Modell unserer Gesellschaft oder kommt es gleichfalls zu einer multipolaren Veränderung alter Rollen- und Gesellschaftsmodelle? Viele rätseln in Tagen wie diesen, wie man dem harten Mann in Moskau Paroli bieten kann. Nun, sicher nicht mit Personen, die aus der Perspektive von Teilen der russischen Seele die westliche Dekadenz verkörpern. EX-US-Präsident Donald Trump hat behauptet, unter seiner Regierung hätte es keine Invasion gegeben - eine interessante Theorie. Trump, der unberechenbare politische Sensitizer, war sogar für den in seinem Inneren eher introvertierten Analytiker Putin schwerer einzuschätzen, was wiederum für die Hypothese der mentalen Abschreckungsfunktion Trumps spricht. Mehr noch, er harmonierte in Ausformung einer Macho-orientierten Männerfreundschaft eher mit Putin, und beide repräsentierten unisono ein traditionelles Gesellschaftsbild.
Die kognitive Kolonialisierung, bei der eine Großmacht - egal ob sie USA, Russland oder China heißt - anderen Nationen ihr Wertefundament aufs Auge drücken will, muss und wird im freien internationalen Spiel der Kräfte ein Ende haben. Die Welt mit dem eigenen scheinbar überlegenen Wertesystem beglücken zu müssen, ist ebenso eine Unkultur wie die derzeitigen Muskelspiele und sich überschlagenden Meldungen von Politikern aller Couleurs mit verbalen Kraftausdrücken. Problemlösung funktioniert nicht nur auf neuronaler Ebene durch Vernetzung. Strafreize und Feindbilder sind langfristig für Lernprozesse mehr als hinderlich. Eine gute Lösung braucht Abstand und Feldunabhängigkeit. Dies gilt vor allem in Zeiten einer aufgeladenen Stimmung und der Aggression, denn Krieg kennt keine Gewinner.