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Landrätin brachte Stoiber zu Fall. | Neubeginn in Brüssel nach dem Abtritt in Bayern. | München. Soll man sich in Gedanken einen Ur-Bayern vorstellen, fällt einem mit Sicherheit nicht als erstes ein schlanker, scharfnasiger blonder Managertyp mit fahrigen Bewegungen und nervösem Hochdeutsch ein, wie ihn der scheidende Herr der Bajuwaren verkörpert. Obwohl der 1941 im oberbayerischen Oberaudorf geborene Edmund Rüdiger Stoiber 14 Jahre lang die Geschicke des größten deutschen Bundeslandes gelenkt und Bayern seinen politischen Stempel aufgedrückt hat. Franz Josef Strauß und vor ihm Alfons Goppel, ja selbst Max Streibl entsprachen viel eher dem Klischee eines bayrischen Landesvaters.
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Am 30. September endet die 14-jährige Ära Edmund Stoibers. Wie am 18. Jänner angekündigt, wird er sein Amt als bayerischer Ministerpräsident abgeben und auf dem CSU-Parteitag nicht mehr als Vorsitzender kandidieren. Zwei Tage vorher, am 28. September, wird der gelernte Jurist und zugelassene Rechtsanwalt 66 Jahre alt. Und während laut Udo Jürgens "mit 66 Jahren das Leben richtig anfängt", beginnt Bayerns scheidender Ministerpräsident bald eine neue Karriere: Nach seinem Abgang aus der Staatskanzlei soll ausgerechnet der "Aktenfresser" Stoiber in Brüssel für die Entbürokratisierung des EU-Molochs sorgen.
Wer den Bayern in den vergangenen drei Jahrzehnten seiner politischen Tätigkeit bei der Arbeit beobachten konnte, dem fielen oft höchst preußische Eigenschaften auf: Eine unglaubliche Beharrlichkeit oder besser "Ausharrlichkeit" - während andere schon vom Sitzungsschlaf betäubt wurden, war Stoiber immer noch frisch und munter; eine Exaktheit, die an Detailversessenheit grenzte; ein libidinöses Verhältnis zu Akten und "Papers", aber dafür auch absolute Zuverlässigkeit, Ernsthaftigkeit und Faktenkenntnis. Edmund Stoiber ist quasi "omnikompatibel" - man könnte ihn praktisch überall einsetzen und er wäre überall ehrgeizig und gewissenhaft.
Laptop statt Lederhose
Wenn Stoiber einen bayrischen Trachtenhut aufsetzt, wirkt der deplatziert wie eine Kuckucksuhr auf dem Trump-Tower, unter Wirtschaft versteht er High-Tech und keineswegs "a Bier-stubn", und zum Lachen, so versicherte einst ein früher Weggefährte, geht er in den Keller. Von seiner Parole "Lederhosen und Laptop" scheint er dem Laptop weitaus näher zu stehen.
Einen schroffen Kontrast zu Stoibers wirtschaftspolitischer Modernität bildet sein wertkonservativer Habitus in ethischen Fragen. Besonders schwer tat er sich zeit seines Politikerlebens mit dem weiblichen Element in der Gesellschaft. An seiner Frau Karin, mit der er seit 1968 verheiratet ist, schätze er die Attraktivität, die sich über all die Jahre erhalten habe, und "die unbedingte Familienorientierung".
Aber Frauen in der Politik? Seine Stellvertreterin als Ministerpräsident, Barbara Stamm, schmiss er aus dem Kabinett; mit Angela Merkel könne er nicht, sagte er - und verweigerte sich ihrem Team. Schließlich ist Stoiber über die Angriffe der schönen Fürther CSU-Landrätin Gabriele Pauli gestürzt, die seine Zeit abgelaufen sieht und nun sogar seine Nachfolgerin werden will (siehe Analyse).
Stoibers Adlatus soll heimlich Material gegen die attraktive Fürther Landrätin gesammelt haben, um sie wegen Männergeschichten oder Alkoholexzessen anschwärzen zu können. Er musste gehen, obwohl solche heimlichen Dossiers in der CSU gang und gäbe sein dürften. So soll Max Streibl, Stoibers Amtsvorgänger, seinen Gegnern mit einem Koffer voller belastenden Materials gedroht haben. Und er war nicht der einzige Politiker, der so vorging - selbst, ebenso Monika Hohlmeier. Zuletzt deutete sogar der deutsche Bundesminister für Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Horst Seehofer, Ähnliches an.
Führendes Bundesland
Wenn Edmund Stoiber von der Politbühne Bayerns abtritt, hinterlässt er dem Freistaat ein Erbe, das sogar seine Gegner würdigen. Bayern ist heute auf allen wichtigen Gebieten maßgebend in Deutschland und hält Spitzenpositionen beim Wachstum, beim Pro-Kopf-Einkommen, bei der Schaffung neuer Arbeitsplätze, bei Bildungsvergleichen und in Hochschulrankings.
Mit einem Bruttoinlandsprodukt von 32.400 Euro je Einwohner zählt Bayern zu den wohlhabendsten Regionen in Europa. Es ist Spitzenreiter beim Wirtschaftswachstum: Seit 1990 stieg das Bruttoinlandsprodukt in Bayern um ein Viertel (deutscher Bundesdurchschnitt: 15 Prozent), und die Arbeitslosenquote ist eine der niedrigsten. Stoiber führte den Freistaat an die Spitze der Bundesländer. Mehr als eine Million deutsche Bürgerinnen und Bürger sind in den 14 Jahren seiner Regierung nach Bayern übersiedelt.
Als Ministerpräsident hat Stoiber nicht nur immer eine engagierte Strukturpolitik betrieben, sondern auch national und international "Klinken geputzt", Firmen nach Bayern geholt und sich um die Unternehmen gekümmert. Und er hat ihre Rahmenbedingungen verbessert. Als harter Reformer machte er sich einen Namen und legte 2006 als erster Ministerpräsident in Deutschland einen ausgeglichenen Haushalt vor.
Als sein Vermächtnis gilt das Investitionsprogramm "Bayern 2020" mit einem Umfang von 1,5 Milliarden Euro. Schwerpunkte sind Investitionen in Wissenschaft, Technologie und Hochschulen sowie Ganztagsschulen und Kinderbetreuung.
CSU-Chef: Ein Amt, drei Kandidaten
+++ Das Äh als Markenzeichen