Zum Hauptinhalt springen

Ein Delikt, das Mussolinis Regime ins Wanken brachte

Von Rainer Mayerhofer

Politik

Vor 80 Jahren, am 10. Juni 1924, wurde in Rom der Abgeordnete und Generalsekretär der Sozialistischen Partei Giacomo Matteotti auf dem Weg ins Parlament von Mitarbeitern des faschistischen Geheimdienstes entführt und ermordet. Obwohl Benito Mussolini nie eine direkte Verwicklung in den Mord nachgewiesen werden konnte, hatte sein seit Oktober 1922 amtierendes Regime damals seine schwerste Krise zu überstehen.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 20 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Der am 22. Mai 1885 in Fratta Polesine in der Provinz Rovigo als Sohn wohlhabender Eltern geborene Giacomo Matteotti war einer der entschiedensten Gegner des Faschismus. Seit 1919 war er, der als ausgebildeter Jurist die Landarbeiterkämpfe in seiner engeren Heimat unterstützt hatte, Abgeordneter im römischen Parlament und prangerte dort die Machenschaften der Mussolini-Anhänger immer wieder in scharfen Worten a. Er war schon vor der Machtergreifung Mussolinis mehrfach von den faschistischen Schwadronen physisch angegriffen worden.

In seiner letzten Rede im Parlament am 30. Mai 1924, die immer wieder durch wütende Zwischenrufe der faschistischen Mehrheitsfraktion unterbrochen wurde, berichtete Matteotti von zahlreichen Fällen der Wählereinschüchterung bei den kurz zuvor abgehaltenen Parlamentswahlen, die Mussolini nicht zuletzt durch ein von ihm proklamiertes neues Wahlgesetz mit einer überwältigenden Mehrheit gewonnen hatte. Als er vom Rednerpult ging, sagte Matteotti zu seinen Anhängern: "Und jetzt könnt ihr meinen Nachruf vorbereiten".

Für die nächste Parlamentssitzung am 11. Juni 1924 hatte Matteotti Enthüllungen über korrupte Geschäfte des amerikanischen Ölkonzerns Sanclaire vorbereitet, in die auch Mussolini selbst und das Königshaus verwickelt waren. Einen Tag davor wurde er aber von einem Geheimdienstkommando, das von Mussolinis Presseamt finanziert worden war entführt. Seine Leiche fand man zwei Monate später in einem Erdloch in der Nähe Roms.

Mussolini verlor Bündnispartner und die Opposition zog aus dem Parlament aus. Erst als der Diktator die Täter festnehmen ließ und drei Minister feuerte war im Jänner 1925 die politische Krise ausgestanden und der Weg zur Einparteiendiktatur frei.