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Ohne jene schmerzhaften Reformen, die Deutschland unter Gerhard Schröder umsetzte, wäre Europa heute pleite. Ein Grund, danke zu sagen.
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Als Sympathieträger eignet sich Gerhard Schröder, deutscher Kanzler von 1998 bis 2005, nicht wirklich besonders. Seine einstigen Auftritte als Regierungschef arrogant zu nennen, untertreibt die Sache maßlos; selbst nach verlorener Wahl trat er im Fernsehen noch mit einem aufgeblähten Ego auf, das eine kurze öffentliche Debatte über die Droge seiner Wahl auslöste.
Dass er in seiner Partei "Genosse der Bosse" genannt wurde, war nicht eben als Kompliment gemeint, und mit den Arbeitsmarktreformen seiner "Agenda 2010" (genannt "Hartz I-V") verspielte er nicht nur allfällige noch vorhandene Sympathien für ihn in der SPD, sondern letztlich auch das Kanzleramt. Seit seinem Ausstieg aus der Politik steht er auf der Payroll des russischen Gazprom-Konzerns, was viele deutsche Genossen durchaus stimmig finden.
Und trotzdem wäre es an der Zeit, Gerhard Schröder ein ziemlich großes Denkmal zu errichten, nicht unbedingt in Berlin, aber dafür in Brüssel. Denn wenn Deutschland heute wirtschaftlich derart gut in Schuss ist, dass es die enormen Lasten der (versuchten) Rettung des bankrotten europäischen Südens schultern kann, dann liegt das in ganz erheblichem Maß an jenen ebenso unpopulären wie notwendigen "Agenda 2010"-Reformen, die Schröder gegen erheblichen Widerstand seiner sozialdemokratischen Genossen auf den Weg gebracht hat. Deutschland hat schon jetzt Kredite, Haftungen und Garantien zugunsten der europäischen Peripherie gestemmt, die in der Größenordnung eines Jahressteueraufkommens der Bundesrepublik liegen; Tendenz weiter stark steigend.
Möglich wurde diese enorme Anstrengung ausschließlich, weil Schröders Reformen die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands dramatisch erhöht hatten: Stiegen die Lohnstückkosten in Griechenland seit 2000 um beeindruckende 35 Prozent, stagnierten sie in Deutschland (plus 2 Prozent). Wäre Deutschland heute noch immer jener "kranke Mann Europas" (wie der Londoner "Economist" damals schrieb) der Jahre ab 2000 - weit und breit wäre niemand zu finden, der die ökonomische Kraft hätte, den Zusammenbruch der Eurozone zu verhindern; vorerst jedenfalls. Wäre Deutschland heute noch so schwach wie damals, wäre es heute nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems.
Wäre aber Gerhard Schröder damals nicht bereit gewesen, jene hohen politischen Risiken einzugehen, die schließlich ja auch schlagend geworden sind und Angela Merkel zur Kanzlerin machten, stünde Europa heute noch viel schlechter da, als es ohnehin der Fall ist. Dafür schulden die Europäer dem Altkanzler ein Denkmal in Brüssel.
Freilich dürfte ein kleiner, relativierender Hinweis am Sockel dieser Schröder-Statue nicht fehlen: nämlich, dass er im Abendlicht seiner Kanzlerschaft im Jahr 2004 gemeinsam mit dem französischen Präsidenten Jacques Chirac die im Maastricht-Vertrag zwingend vereinbarten Obergrenzen staatlicher Defizite nonchalant brach, die EU-Kommission zwang, dies hinzunehmen - und damit zu einem der geistigen Väter der Schuldenkrise wurde.
ortner@wienerzeitung.at