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Ein Dickicht namens Niederösterreich

Von Reinhard Göweil

Politik

Verlustreiche Veranlagung von Wohnbaudarlehen und "Verkaufserlöse" ein "geschlossenes System".


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Wien. Was unterscheidet eigentlich die riskanten Veranlagungen des Landes Salzburg von jenen des Landes Niederösterreich? In Salzburg droht ein Verlust von 340 Millionen Euro, in Niederösterreich sei eine Milliarde Euro weg, so der Rechnungshof. Warum tritt in Salzburg der Finanz-Landesrat zurück und die Regierung kracht, während in Niederösterreich alles ruhig bleibt?

Politisch betrachtet ist es einfach: In Salzburg beendete die Volkspartei die Koalitionsregierung mit der SPÖ, während in Niederösterreich die absolute ÖVP-Mehrheit nicht zu knacken ist. Das hat Auswirkungen auf die politische Verantwortung, denn die Veranlagungs-Vehikel in Niederösterreich entpuppen sich als Labyrinth, das von der regierenden Volkspartei entworfen wurde.

Die Geschäfte selbst sind weniger vergleichbar. In Salzburg nahm die entlassene Referatsleiterin - offenbar an vielen Kontrollen vorbei - Kredite auf, um damit in hochriskanten Wertpapieren zu zocken. Das machte sie zwar bei Investmentbanken in Frankfurt und London bekannt, aber nicht genug in der Salzburger Landespolitik. Anfang Jänner soll ein erster Status vorliegen, wie hoch die Verluste tatsächlich ausfallen können.

Verlustreiches Karussell

In Niederösterreich wurde mit öffentlichem Geld ein Veranlagungs-Karussell in Höhe von 4,3 Milliarden Euro aufgezogen. Und zwar in vier Tranchen zwischen 2002 und 2007. Den Beginn machte ein vermeintlich gutes Geschäft mit Wohnbauförderungs-Darlehen in Höhe von 2,45 Milliarden Euro. Simpel gesprochen geht es darum, dass aushaftende Häuslbauer-Kredite "kapitalisiert" und verkauft werden. Aus "totem Kapital" wollte Finanzlandesrat Wolfgang Sobotka eine jährliche Rendite von fünf Prozent herausholen - mit den Erlösen sollte das Landesbudget aufgefettet werden.

40 Prozent wurden 2002 in Aktien veranlagt, 60 Prozent in Anleihen - allerdings in Dollarpapiere. Der Kursverfall des Dollar und der Aktien entfaltete allerdings eine verheerende Wirkung. "Die Verluste von damals sind nicht aufzuholen", sagt Wirtschaftsprüfer Gottfried Schellmann. Und auch der Rechnungshof konstatierte jüngst: "Der bis Ende 2008 im Vergleich zum langfristigen Ergebnisziel des Landes festgestellte Fehlbetrag von knapp 1 Milliarde Euro konnte unter anderem auch aufgrund der ungünstigen Marktentwicklung nicht aufgeholt werden." Heuer lief es besser, Schellmann rechnet aber (ohne Gewähr), dass am Ende ein Fehlbetrag von etwa 600 Millionen Euro zu realisieren sein wird.

Bemerkenswert ist allerdings die niederösterreichische Konstruktion, die sich ausschließlich unter Kontrolle der ÖVP-dominierten Landesregierung in St. Pölten befindet, und von außen nur mit Mühe einsehbar ist. Das Geld wurde zuerst über 46, jetzt über 20 Banken gestioniert.

Das Land selbst gründete 2001 eine "Wohnbaudarlehen Privatstiftung", die als einzigen Zweck die Firma "Blue Danube Loan Funding" hält. Die Stiftung nahm - mit Landesgarantie - einen Kredit über 2,6 Milliarden Euro auf und erhielt dafür die Wohnbaudarlehen des Landes. "Es gibt dabei so gut wie keine Ausfälle, und wir wickeln den Kredit über die Rückflüsse der Darlehen ab, die von den Niederösterreichern aufgenommen wurden. Am Ende sind die Darlehen bezahlt, und der Kredit ist getilgt. Sonst tut die Stiftung nichts", sagte Stiftungsvorstand Schellmann. In diesem Stiftungsvorstand sitzt bis heute auch Christoph Herbst, Richter am Verfassungsgerichtshof und enger Vertrauter von Erwin Pröll.

Beabsichtiger Nebeneffekt der Stiftung, die als Soll-Seite einer gigantischen Bilanz agiert: Dorthin wurden alle Kosten, die durch die Transaktion entstanden sind, ausgelagert. Nicht das Landesbudget bezahlte die Provisionen und Gebühren für Investmentbanker, Anwälte und Notare, sondern letztendlich die Häuslbauer.

2011 lagen die Kosten für die gesamte Vermögensverwaltung bei zirka 25 Millionen Euro. Ein Wert, der vom Rechnungshof sogar gelobt wurde, weil er deutlich reduziert werden konnte. "An solchen Geschäften verdienen nur Banken, Prüfer und Anwälte. Die aber gut und ohne Risiko", sagt ein Banker zur "Wiener Zeitung".

Dafür kassiert das Land Provision für die erteilte Haftung an der von ihr gegründeten Stiftung.

Ende 2011 lagen die Verbindlichkeiten der "Blue Danube" bei 2,03 Milliarden Euro. Sitz der Stiftung und ihrer Tochter ist die Hypo NÖ-Zentrale in St. Pölten. "Die Hypo machte die Abwicklung", so Schellmann.

Der "Maastricht-Wahnsinn"

Den Grund ortete Schellmann im 2001 grassierenden "Maastricht-Wahnsinn", wie er es nennt. "Alle Körperschaften, nicht nur in Österreich, versuchten eigene Rechnungskreise zu kreieren, um die Landesbudgets zu entlasten." 2001 begannen auch in Salzburg die Spekulationsgeschäfte. "Maastricht", das bedeutet maximal drei Prozent Neuverschuldung und 60 Prozent Schuldenstand gemessen an der Wirtschaftsleistung.

In Niederösterreich traten vor allem wegen der Dollar-Schwankungen rasch Verluste auf. Seit 2003 wird das Thema im Landtag diskutiert, und von der regierenden ÖVP wort- und zahlenreich verteidigt. Die SPÖ stimmte den Veranlagungen damals zu, der aktuelle Parteichef Josef Leitner ist ein vehementer Kritiker.

Statt nach den ersten Verlusten auf die Bremse zu steigen, gab das Land nochmals Gas. Zwei weitere Tranchen von Wohnbaudarlehen - 245,3 Millionen im Jahr 2003 und 840 Millionen Euro im Jahr 2007 - wurden derartig veranlagt. Mittlerweile ist der Aktienanteil deutlich gesunken, es gibt heuer vermutlich eine Rendite von drei Prozent - immer noch meilenweit von den fünf Prozent entfernt, die notwendig sind, um ein Geschäft daraus werden zu lassen. Der kleinere Anteil von 245,3 Millionen Euro wurde mittlerweile rückgekauft. Mit welchem Ergebnis ist unklar.

Ein Verkauf an sich selbst

Denn das Land Niederösterreich setzte 2005 über die von ihr kontrollierte Hypo NÖ ein weiteres "inner-niederösterreichisches" Spekulations-Karussell in Gang. "Da wurde dem schlechten Geld noch gutes nachgeworfen. Eine klassische Verhaltensweise, wenn Investments schiefgehen - und grundfalsch", sagt ein Banker aus diesem Bereich, der namentlich nicht genannt werden will.

Das Land verkaufte 2005 Beteiligungen - an sich selbst. Die Anteile an EVN, Hypo NÖ, Flughafen Wien, UNIQA wurden an die "NÖ Beteiligungs Holding" veräußert - steuerfrei. Die Landes-Holding musste dafür Kredite aufnehmen - mit Landeshaftung. Der "Verkaufs-Erlös" lag bei 933 Millionen Euro. 860 Millionen Euro wurden unverdrossen veranlagt.

Im Jahr 2007 wurde die nächste Wohnbaudarlehens-Tranche in Höhe von 840 Millionen Euro nachgeschossen. Als Käufer trat diesmal die vom Land kontrollierte Hypo Niederösterreich auf, die das Geld in der irischen Zweckgesellschaft "Aurelius" eher risikofreudig investierte. Der Effekt: Dort wurde ein offiziell gemeldeter Verlust in Höhe von 40 Millionen "erwirtschaftet". Da gleichzeitig mit dem Deal die Großkreditgrenze der Hypo NÖ überstiegen wurde, gab es von der Finanzmarktaufsicht zusätzlich noch eine Strafe von 58 Millionen Euro. Die irische "Aurelius" wurde mittlerweile auf Null zurückgefahren. Ob der Verlust von 98 Millionen Euro jemals aufgeholt werden kann, gilt in Bankkreisen als unsicher. Als Freund in der Not betätigte sich Raiffeisen - mit dem Land und der ÖVP Niederösterreich eng verwoben. Die Hypo verkaufte zur Bilanzsanierung die "Capital Management", die einen bedeutenden Anteil der Master-Kapitalanlagegesellschaft aller Landes-Hypos hält, an die RZB-Tochter Kathrein Bank.

Für die Hypo NÖ-Geschäfte interessiert sich mittlerweile auch die Staatsanwaltschaft, die wegen Untreue und Bilanzfälschung ermittelt. Die damaligen Aurelius-Manager sind jedenfalls nicht durch Sparsamkeit aufgefallen - wenigstens nicht im Wiener Nobelrestaurant Fabio, das sie gerne frequentierten.

Das Geld ist mittlerweile in die offizielle Veranlagung des Landes aufgenommen, deren Volumen derzeit 4,3 Milliarden Euro ausmacht, und in Händen einer weiteren Landesgesellschaft, der "Fibeg", liegt. Die hat seit 2010 mit Johannes Kern einen neuen Geschäftsführer. Dessen Aufgabe ist, zu retten was noch zu retten ist. Sein Vorgänger steht im Visier der Staatsanwälte.

Spinne im Netz

Das Veranlagungskarussell in Niederösterreich spielte sich jedenfalls in einem Dreieck Landhaus - Hypo NÖ - ÖVP Niederösterreich ab. In den Landes-Gesellschaften saßen und sitzen Funktionäre der Volkspartei des Landes sowie enge Vertraute von Erwin Pröll und Wolfgang Sobotka. Das Karussell, zu dem auch die EVN gehört, ist so undurchdringlich und verwoben, dass es schwer möglich ist, genau zu sagen, wo welche Kosten verbucht worden sind. Sicher ist nur, dass sie mittlerweile einen dreistelligen Millionenbetrag ausmachen.

Die durchschnittliche Rendite seit 2002 liegt jedenfalls derzeit bei 1,8 Prozent jährlich. Die Blue Danube wird vermutlich höhere Zinszahlungen für den Kredit zu leisten haben.