Muammar Gaddafi geht langsam das Geld aus. Der Libyen-Strategie der USA mangelt es allerdings an ausgeklügelten Vorstellungen von der Endphase.
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Um seine Regierung zusammenzuhalten, war Muammar Gaddafi auf eine strategische Ressource immer schon besonders angewiesen: auf Geld. Langsam geht es ihm nun aber aus, während die UN-gestützte Koalition ihren Druck verstärkt. Der engere Kreis um Gaddafi zeigt erste Anzeichen eines Zusammenbruchs.
Je unerträglicher es im Schwitzkasten wird, umso eher wird entweder Gaddafis Regime implodieren oder er wird die Flucht ergreifen müssen, wie Mitarbeiter des Weißen Hauses annehmen. Diese Libyen-Strategie ist mehr auf Hoffnungen und Erwartungen gebaut als auf ausgeklügelte Vorstellungen von der Endphase. Es fehlt ihr die strategische Klarheit, die Kritiker von US-Präsident Barack Obama einfordern. Aber verglichen mit den anderen unberechenbaren Stürmen, die durch den arabischen Raum wirbeln, besonders durch den Jemen und durch Syrien, scheint bei diesem wenigstens die Richtung zu stimmen.
Ein klares Zeichen, dass die Strategie funktioniert, ist die Flucht von Gaddafis Außenminister und langjährigem Geheimdienstchef Mussa Kussa nach Großbritannien, nachdem er vorgab, nach Tunesien reisen zu wollen, um heimlich Ölgeschäfte zu tätigen. Der Vorfall belegt jedenfalls anschaulich Gaddafis dringendes Bedürfnis nach neuem Kapital.
Wie von US-Beamten zu hören ist, sollen auch andere aus der Umgebung Gaddafis bereits Kontakt mit den USA oder Verbündeten gehabt haben. Auch der gegenwärtige Geheimdienstchef Abdullah al-Senussi und andere Mitglieder des Kabinetts sollen neben Familienmitgliedern Gaddafis dazugehören. Ali Abdussalm Treki, ein früherer Außenminister Libyens, ist bereits nach Ägypten geflüchtet. Dieses tröpfchenweise Abbröckeln könnte leicht zur Flut werden.
Die CIA entsendet verdeckte Teams nach Libyen, um Gaddafis System weiter zu untergraben. Zu den Aufgaben gehört es, geheime Kommunikationskanäle für die libysche Opposition bereitzustellen, Kontakt zu den Rebellen zu halten und Libyern Geld und Unterstützung zukommen zu lassen, damit sie mit Gaddafi brechen. Eine unerfreuliche aber nötige Aufgabe wird sein, für die Stammesführer, die Gaddafi seit 40 Jahren besticht, alternative Geldquellen zu finden. Wenn das gelingt, würde die letzte Stütze Gaddafis wegfallen.
Einen Hinweis darauf, wie schwach Libyen ist, gab Kussa selbst, und zwar schon vor Jahren: Nach der Vertreibung Saddam Husseins soll er zu CIA-Mitarbeitern gesagt haben, dass Libyen viel leichter anzugreifen wäre als der Irak.
Wie im Irak wird die große Herausforderung auch in Libyen sein, eine stabile Regierung einzusetzen. In der US-Regierung geht man davon aus, dass diesmal der Vorgang von der UNO und ihrem Sondergesandten für Libyen, Abdul-Illah Khatib, überwacht wird. Seine dringendste Aufgabe ist es, die Beziehungen zwischen den Rebellen und dem Regime zu koordinieren. Arabische Deckung kommt auch aus Qatar, wo das nächste Treffen der Kontaktgruppe, die die Anti-Gaddafi-Operation beaufsichtigt, stattfindet.
Sehr viel kann noch schiefgehen. Immer wenn Gaddafi in der Vergangenheit in die Enge getrieben wurde, griff er zu terroristischen Methoden, um zurückzuschlagen. Über chemische und möglicherweise über andere unkonventionelle Waffen soll er verfügen. Aber er braucht Geld. Und wie aus einer Geheimdienstquelle zu hören ist, reichen seine Mittel höchstens für zwei bis drei Monate. Aus dieser Sicht lässt sich Gaddafi als Diktator "in Liquidation" beschreiben.
Übersetzung: Redaktion Der Autor war Chefredakteur der "International Herald Tribune". Seine Kolumne erscheint auch in der "Washington Post". Originalfassung