Sprecher Alexander Pollak über Lichtermeer, Asylwerber, Vorschulklasse.
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Wien. Unter dem Motto "20 Jahre Lichtermeer" lädt die NGO SOS Mitmensch am Sonntag zu einer "Matinee für Zivilcourage" ins Volkstheater. Über Anliegen und Zukunft der Initiative spricht Sprecher Alexander Pollak mit der "Wiener Zeitung".
"Wiener Zeitung": Abschiebungen nach Tschetschenien, die Zerstörung des Flüchtlingscamps vor der Votivkirche: Es verging zuletzt kaum eine Woche, in der sich SOS Mitmensch nicht zu Wort gemeldet hat. Was hat sich konkret durch die Arbeit dieser Pressure Group in den letzten 20 Jahren verändert?Alexander Pollak: Es hat sich sehr viel verändert, denke ich. Eine viel breitere Zivilgesellschaft hat sich entwickelt, daran hat SOS Mitmensch aktiv mitgewirkt. Ute Bock wurde in ihren Anfängen unterstützt, da hatte sie einen Platz in diesem Büro. Auch Zara (Zivilcourage und Anti-Rassismus-Arbeit, Anm.) ist anfangs hier gesessen. Und es gibt heute hier den Verein Ehe ohne Grenzen. Dass die Zivilgesellschaft nun viel breiter ist, hatte Auswirkungen auf unsere Möglichkeiten, in Problemsituationen einzugreifen. Bei rassistischen Vorfällen oder Übergriffen ist es nicht mehr so, dass die Leute nicht wissen, an wen sie sich wenden können. Und es gibt nun jemanden, der in der Öffentlichkeit laut aufschreit. Organisationen wie Zara leisten konkrete Fallarbeit.
In den letzten beiden Jahrzehnten hat sich aber die Gesellschaftsstruktur massiv verändert. Der EU-Beitritt, die politischen Umwälzungen in Osteuropa haben Migration selbstverständlich werden lassen. Hat das zu einer Abschwächung des Alltagsrassismus geführt?
Ich glaube nicht, dass man das so generalisieren kann. Ja, es haben sich in den letzten 20 Jahren sicher Sphären gebildet, in denen es zu einer Abschwächung des Alltagsrassismus gekommen ist, weil Vielfalt gelebt wird und Austausch stattfindet. Auf der anderen Seite gab es all die Jahre mit der FPÖ eine Kraft, die alles darangesetzt hat, Vorurteile zu schüren, und das weiter tut, teilweise auch mit Erfolg.
Das Ausländervolksbegehren der FPÖ im Jahr 1993 war auch der Anlass, SOS Mitmensch zu gründen. Die NGO wird bis heute von den Freiheitlichen massiv angefeindet. Wie geht man damit um?
Die persönlichen Angriffe spielen für unsere Arbeit keine Rolle. Wichtiger ist es, eine starke Gegenstimme zu sein. Kürzlich hat ein FPÖ-Landtagsabgeordneter in Wien rassistisch gegen türkische Bürger dieser Stadt gehetzt. Da ist es uns wichtig, ganz klare Grenzlinien zu ziehen und zu sagen, das geht nicht, das ist gesellschaftszerstörend. Wir sind ein bisschen der Dorn im Fleisch der FPÖ. Wir sind aber kritisch gegenüber allen Entwicklungen, die Menschenrechte und Menschenwürde in Frage stellen. Da sind wir auch ein Dorn im Fleisch der ÖVP und der SPÖ und wenn notwendig, auch der Grünen.
Aktuell kritisieren Sie die neue Praxis des SPÖ-geführten Wiener Stadtschulrats, Kinder, die beim Schulreifetest nicht über ausreichende Deutschkenntnisse verfügen, in eine Vorschulklasse zu schicken. Warum stoßen Sie sich an dieser Vorgangsweise?
Uns stört, dass für Probleme, die es tatsächlich gibt, die schlechtesten Lösungen gefunden und dann auch umgesetzt werden. Wir halten es für die schlechteste Lösung, wenn Kinder, alleine, weil sie eine andere Erstsprache als Deutsch haben, in eine Sonderklasse geschickt werden. Die beste Lösung ist, die Kinder möglichst rasch in die Regelklasse zu integrieren und ihnen dort Förderunterricht zukommen zu lassen. Und auch in die Lehrerbildung zu investieren, damit die Pädagogen mit Deutsch als Fremdsprache umgehen können.
Man könnte aber auch sagen, die Vorschulklasse böte diesen Kindern die Chance, dann in der ersten Klasse vom gleichen Level an zu starten wie ihre Klassenkollegen.
Erstens verlieren sie auf alle Fälle ein Schuljahr. Und zweitens ist es total demotivierend für die Kinder, wenn sie, obwohl sie schulreif sind, zurückgestuft werden. Drittens ist noch nicht bewiesen, dass dieses eine Jahr in der Sonderklasse den Kindern helfen wird. Die Frage ist, ob das tatsächlich die Umgebung ist, in der Sprache am besten gelernt werden kann. Ich bezweifle das.
Im Innenministerium wiederum, welches der ÖVP zuzuordnen ist, ressortiert das Thema Asyl. Sie fordern für Asylwerber den freien Zugang zum Arbeitsmarkt. Was würde dadurch gelöst?
Eine Vielzahl von Problemen. Die Asylsuchenden wären während ihrer Wartezeit nicht zum Nichtstun verurteilt. Sie hätten die Möglichkeit, auf eigenen Beinen zu stehen. Es würde sich für den Staat etwas ändern, wenn weniger Geld in die Grundversorgung investiert werden müsste. Es würde sich aber auch für die Zeit danach etwas ändern. Ein beträchtlicher Anteil der Asylwerber bekommt schließlich das Aufenthaltsrecht in Österreich. Für sie ist es derzeit durch die lang erzwungene Wartezeit schwer, in den Arbeitsmarkt einzusteigen - Stichwort: Dequalifizierung.
Würden dadurch nicht auch Personen angelockt, die Scheinanträge stellen, um eine Arbeitserlaubnis zu erhalten?
Es gäbe eine Wartefrist. Wir sagen, die sollte auf keinen Fall länger als sechs Monate betragen. Wenn Leute ohne Chance auf Asyl hier sind, ist der Antrag erfahrungsgemäß in dieser Zeit entschieden. Ich glaube daher nicht, dass hier ein Anreiz geschaffen werden würde. Und: Zu Tode gefürchtet ist auch gestorben.
Warum braucht Österreich SOS Mitmensch auch weiterhin?
Weil es eine starke Stimme gegen Rassismus und für die Rechte von Flüchtlingen braucht. Eine starke Stimme, die auch nicht populistische Positionen in der Integrationsdebatte vertritt, die sich nicht nur zu Wort meldet, sondern sich auch für Veränderungen einsetzt.
Wird es bei der Matinee am Sonntag eine Überraschung geben?
Was ich schon verraten kann, ist, dass auch die Flüchtlingsproteste ein Thema sein werden. Weil wir das schon für einen Meilenstein in der zivilgesellschaftlichen Entwicklung halten, wenn erstmals nicht nur für Flüchtlinge gesprochen wird, sondern dass Flüchtlinge sich selbst für ihre und die Anliegen von anderen Flüchtlingen starkmachen.
www.sosmitmensch.at