Steinmeier besser als vermutet. | Kaum Einfluss auf Wahlverhalten. | Berlin. Wie soll man sich mit einem allseits geachteten Politiker befetzen, mit dem man vier Jahre lang eng und harmonisch zusammengearbeitet hat? Am Sonntag verfehlten die beiden Spitzenkandidaten, Angela Merkel für die Union und Frank-Walter Steinmeier für die Sozialdemokratie, das Ziel, den deutschen Wählerinnen und Wählern plausibel zu erklären, warum die große Koalition unbedingt in 14 Tagen beendet werden müsse.
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Zwei öffentlich-rechtliche und zwei Privatsender übertrugen zeitgleich die Gegenüberstellung der beiden Kandidaten; jede Fernsehstation stellte einen der vier Fragesteller; alle Kombattanten standen hinter Pulten und alle Sender rahmten die Kerndiskussion mit einem Begleitprogramm ein. Etliche Meinungsforschungs-Institute führten telefonische Blitzbefragungen durch, die sofort veröffentlicht wurden. Denn wichtiger noch als der Auftritt der Polit-Stars ist die Interpretation, die über die Medien sofort nachgeliefert wird.
Steinmeier nutzte den Bonus niedriger Erwartungen: Ein Großteil der Zuseher fand ihn besser als vermutet. Merkel nutzte den Kanzlerbonus, um ihren Herausforderer auf dem eigenen Feld, der Außenpolitik, zu stellen. Sie forderte für zahlreiche Fragen internationale Regelungen, wo Steinmeier sich mit nationalen Lösungen aufhielt. Beispiel: Begrenzung der Managergehälter. Hier führten nationale Alleingänge höchstens dazu, dass Firmen ihre Konzernspitze ins Ausland verlagern, meinte Merkel.
Harte Kontroversen und offenen Streit vermieden die beiden Koalitionspartner. Unterschiede wurden nur bei drei Themen sichtbar: Beim gesetzlichen Mindestlohn, den die SPD flächendeckend durchsetzen will; bei der Begrenzung der Managergehälter, die der CDU zu kurz greift und bei der Laufzeit für Atomkraftwerke, die von der Union gerne verlängert würde.
Differenzen im Detail
Doch selbst bei diesen drei Themen ging es mehr um Durchführungsfragen und weniger um fundamentale Differenzen. Die Union lehnt Mindestlöhne nicht grundsätzlich ab, sie will aber mehr nach Branchen und Regionen differenzieren und gesetzliche Grenzen nur dort einziehen, wo die Sozialpartner nicht autonom entscheiden. Manche Managergehälter und -boni findet auch Merkel "unanständig", sie will aber lieber ein Bonus-Malus-System als eine starre gesetzliche Obergrenze. Und auch die Atomenergie bezeichnet Merkel als "Brückenenergie", die allerdings erst dann ausgedient habe, wenn die alternativen und erneuerbaren Energieformen konkurrenzfähig sind.
Bei allen anderen politischen Themen - von Afghanistan bis zur Gesundheitsreform - herrschte strahlende Harmonie. Folgerichtig gaben fast 90 Prozent der Befragten an, dass die TV-Diskussion ihre Wahlentscheidung nicht beeinflusst habe. Aus den Reihen der Opposition, die sich für gewöhnlich wütend bekämpft, kam unisono der Kommentar: Die Diskussion habe gezeigt, dass Merkel und Steinmeier die große Koalition am liebsten fortsetzen würden.
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