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Insekten auf Partnersuche mithilfe des klickenden Panzers. | Rund 60Zikaden-Arten, dieunterschiedlichklingen.
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Hawaii. Gerade hat das Paar sich zum ersten Mal getroffen und schon üben sie sich im Duett: Erst singt sie eine Strophe, er antwortet mit seinem Lied, dann singt die weiter, dann wieder er. Mehr als eine halbe Stunde dauert dieses Duett, danach stehen die beiden noch einmal so lange ganz dicht nebeneinander. Kaum ein Millimeter trennt die beiden Körper und doch berühren sie sich nicht. "Als ob sie sich intensiv beschnuppern, ob der andere auch der richtige Partner ist", vermutet Hannelore Hoch vom Museum für Naturkunde in Berlin. Sind beide mit ihrer Wahl zufrieden, stimmen sie ein weiteres Duett an. Danach kommen die beiden zur Sache - allerdings sind sie bei der Paarung selbst dann still. "Überrascht sie jetzt nämlich ein Feind, wären sie hilflos", sagt Hoch. Ein Feind, das könnte eine Spinne sein, von denen einige in dieser Lavahöhle in Hawaii jagen, in der die Insektenforscherin das junge Paar beobachtet.
Beide Akteure gehören zur Art Oliarus polyphemus und sind winzig kleine Zikaden. Die weißen Insekten ohne Augen zeigen dem Forscher-Ehepaar Hoch und Manfred Asche, wie schnell sich Arten entwickeln. Einige der Höhlen in den erkalteten Lavaströmen Hawaiis sind nämlich nur rund 120 Jahre alt. Und doch scheinen sich in diesem in der Evolution extrem kurzen Zeitraum dort rasch neue Arten zu bilden. Zwar unterscheidet sich die Gestalt der Zikaden in den Höhlen praktisch nicht. Wohl aber die Gesänge. Als die Insektenforscher zum ersten Mal in eine der jungen Lavahöhlen kletterten, hörten sie den Gesang allerdings nicht einmal. Die Wissenschafter müssen es mit speziellen Geräten aufnehmen und in für Menschen hörbare Töne umwandeln.
Wenn die Tiere mit speziellen Muskeln eine kleine Platte in ihrem Mini-Panzer anheben oder einziehen, schnappt dieser mit einem unhörbaren Klick aus seiner Öffnung oder rastet wieder ein. Der Klick überträgt sich wie eine kleine Erschütterung über die Beine der Zikade in den Untergrund. Andere Zikaden "hören" das Geräusch mit den Beinen. Genau wie Musiknoten verschieden lang gespielt oder gesungen werden, lassen die Zikaden verschieden lange Pausen zwischen ihren Klicks. Aus dem Rhythmus entsteht dann eine Melodie.
Wie alle Zikaden saugt auch Oliarus polyphemus Saft aus Pflanzen. Im Fall der Höhlen-Zikaden ist es das Eisenholzgewächs Metrosideros polymorpha, das auf dem Lavaboden wächst. In einer Lavahöhle zählten Hoch und Asche gut 1000 Wurzeln, auf denen 400 Zikaden saßen und Säfte aus den Pflanzen saugten.
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Ein Nest aus Wachsfäden
Die bleistiftdicken Wurzeln erfüllen allerdings noch eine zweite Funktion: indem sie die Gesänge der Insekten über eine Distanz von zwei oder drei Meter übertragen. Stimmt ein Weibchen seinen Gesang an und verkündet damit, dass es bereit zur Paarung ist, nimmt das Männchen Kurs auf die potenzielle Partnerin. Wird die Melodie lauter, stimmt die Richtung wohl. Wird der Gesang leiser, dreht das Männchen um. Bleibt die Lautstärke gleich, biegt es nach rechts oder links ab. Später baut das Weibchen in eine Wurzelverzweigung ein kleines Nest aus Wachsfäden, die es selbst herstellt, und legt seine 13 bis 15 Eier. Die entwickeln sich in einem Jahr zu neuen Zikaden, die dann ein paar Wochen leben.
Einst hatte wohl nur eine einzige Art der Zikaden-Gattung Oliarus den Sprung auf die Hawaii-Inseln geschafft. Im Laufe einiger Hunderttausend Jahre entstanden aus dieser dann 60 Zikaden-Arten. Dazu kamen sechs Arten, die so gut an das Leben in den feuchten Lavahöhlen angepasst sind, dass sie nicht mehr an die Oberfläche können. Als Hoch und Asche die Gesänge in verschiedenen Höhlen aufnahmen, sangen die Zikaden in jeder Höhle anders. Da die Insekten nur über diesen Gesang ihren Partner finden, hatte sich anscheinend in jeder dieser Höhlen eine neue Art entwickelt. Wenn aber eine Höhle höchstens 120 Jahre alt ist, darf die Entwicklung der dort lebenden Art nicht länger als ein Jahrhundert gedauert haben.In den Maßstäben der Evolution ist das rasend schnell. Die Forscher können der Evolution live zuhören.