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Geburtenstarke Jahrgänge, Arbeitslosigkeit, Korruption: Das sind laut US-Verteidigungsminister Robert Gates ein paar der Faktoren, die zu den Unruhen in arabischen Ländern geführt haben.
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Was den US-Verteidigungsminister beschäftigt, sind die Gefahren und Unsicherheiten des Umbruchs in Arabien. Was hier ans Licht komme, sagt Robert Gates, seien Stammes-, Konfessions- und ethnische Konflikte, die seit vielen Jahren unterdrückt waren.
Wenn die USA nun die arabischen Führer auffordere, mehr Demokratie zuzulassen, stelle sich die Frage, ob die jungen Demokratien dem Druck, der sich da Luft mache, standhalten können. Implizit heißt das: Es besteht die Gefahr, dass sich die ganze politische Landkarte der arabischen Welt langsam auflösen könnte, nicht zuletzt durch einen Zusammenbruch Libyens.
Gates sprach mir gegenüber etwas offen aus, was Politiker gerade in Krisenzeiten nur ungern zugeben: Er wisse selbst nicht, wie es weitergeht. "Ich denke, wir sollten uns der Tatsache klar bewusst sein, dass Resultate nicht vorbestimmt sind und dass nicht alles unbedingt immer ein Happy End haben muss", warnte Gates.
Mein Gespräch mit ihm fand auf dem Weg nach Russland statt - vermutlich eine seiner letzten Auslandsreisen vor dem erwarteten Rückzug im Sommer. Triumphierend klang Gates jedoch ganz und gar nicht. Seine Worte waren betont nüchtern, getreu seiner Rolle in der Regierung von US-Präsident Barack Obama als warnende, um Objektivität bemühte Stimme.
So kurz vor seiner Pensionierung genießt es Gates, Dinge zu sagen, die zwar wahr, aber ziemlich undiplomatisch sind. Als von einer Flugverbotszone über Libyen die Rede war, als wäre dies ein völlig harmloses Allheilmittel, gab Gates zu bedenken, dass es sich hierbei um einen militärischen Angriff handle. Und in einer Rede in West Point sagte er: Jeder, der sich für die Entsendung von noch mehr US-Truppen in den Nahen Osten begeistere, solle "seinen Kopf untersuchen lassen".
Seine politische Karriere hat Gates vor 45 Jahren begonnen, bei der CIA. Den gründlichen Skeptizismus eines guten Geheimdienst-Analysten hat er immer noch. Er kratzt gern den Zuckerguss von politischen Entscheidungen, damit seine Kollegen die tatsächlichen Risiken wahrnehmen.
Unser Gespräch fand an einem turbulenten Tag statt: Gates hatte Nachrichten über einen möglichen Putsch gegen Jemens Präsident Ali Abdullah Saleh erhalten, über zunehmend gewalttätige Proteste in Syrien und über die umstrittene Militäraktion in Libyen. Hier könne man sehen, meinte Gates, wie sich die tektonischen Platten in der arabischen Welt, die fast 60 Jahre lang weitgehend erstarrt waren, in alle Richtungen bewegen würden.
Gates ist in den Jahren des Kalten Kriegs aufgewachsen, als die Welt, wie groß die Gefahr auch immer sein mochte, noch stabil und berechenbar war. Zum Umbruch in der arabischen Welt bemerkte er: "Mit so etwas hatten wir es noch nie zu tun."
Seine Linie ist klar: Sollten die USA einer direkten Sicherheitsbedrohung ausgesetzt sein, müsse entschlossen und wenn nötig sogar im Alleingang gehandelt werden. In allen anderen Fällen aber, wie zum Beispiel in Libyen, wo es um Interessen der USA gehe, aber um keine unmittelbare Bedrohung, sollten die USA nur gemeinsam mit einer internationalen Koalition handeln.
Als Gates dann in St. Petersburg von russischen Marinestudenten nach seinem bedeutendsten Erfolg gefragt wurde, nannte er keinen begonnenen Krieg, sondern den, den er beendet hat: jenen im Irak.
Übersetzung: Redaktion Der Autor war Chefredakteur der "International Herald Tribune". Seine Kolumne erscheint auch in der "Washington Post". Originalfassung