Auf die sechswöchige Fastenzeit folgt ein intensives Familienfest mit viel Essen.
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Wien. Für praktizierende orthodoxe Christen endet am 6. Jänner eine sechswöchige Fastenzeit. Die Feier der Geburt Christi, neben Ostern das wichtigste Fest, steht ihnen bevor: Am 6. und 7. Jänner feiern sie Weihnachten. Die orthodoxen Glaubensgemeinschaften orientieren sich nämlich am Julianischen Kalender, der seit der Kalenderreform im Jahr 1582 um 13 Tage vom damals eingeführten Gregorianischen Kalender der Westkirche abweicht.
Rund 500.000 Orthodoxe leben laut Recherchen der Medienservicestelle Neue Österreicher in Österreich, mehr als die Hälfte davon macht die serbische Community (265.000) aus. 44 Prozent aller Migranten aus dem ehemaligen Jugoslawien feiern die Geburt Christi am 6. Jänner, etwa die Hälfte am 24. Dezember, zwölf Prozent feiern gar nicht.
Die 65-jährige Radmila freut sich schon auf "badnje vece", den heiligen Abend, am 6. Jänner. "Es herrscht Ruhe und Friede im Haus," erzählt die serbischstämmige Pensionistin. "Still wartet man auf die Geburt Christi." Wie in der ganzen Fastenzeit wird auch an diesem Abend vegetarisch gegessen - das bedeutet kein Fleisch, keine Milch oder andere tierische Produkte und Fette, außer Fisch. Auf dem Esstisch werden Pogace (Sauerteig-Fladenbrote), Fisch, Kartoffel, Kürbisstrudel, gebratener Kürbis stehen.
"Wir werden am Abend bei uns zu Hause gemütlich essen," sagt die Pensionistin. "Mein Mann, der Hausherr, bringt den Badnjak ins Haus." Badnjak - das ist ein Strauch aus einer Kombination von Stroh und Eichenblättern. Im ländlichen Raum wird meist am Weihnachtsmorgen ein junger Eichenbaum gefällt. "Der Herr des Hauses bringt den Badnjak schließlich ins Haus und legt ihn unter den Tisch. Das symbolisiert die Bettung für das Christuskind, das schließlich auch auf Stroh gelegen hat. Das könnte man mit Krippen vergleichen, nur eben ohne Figuren", erzählt Radmila.
Zur Vesper um 18 Uhr wird Radmila nicht gehen, doch zur Mitternachtsliturgie fährt sie gemeinsam mit ihrem Mann, ihrem Sohn, ihrer Tochter, deren Mann, und ihren zwei Enkeln nach Wien-Leopoldstadt. Die Auferstehungskirche dort wurde im Jahr 2002 geweiht.
Üppige Mahlzeiten folgen
Am Weihnachtsmorgen, dem 7. Jänner, verstreuen Radmila und ihr Mann das Stroh des Badnjak-Strauchs und mehrere Süßigkeiten wie Pralinen und Bonbons über den Boden des Wohnzimmers. Mit Zuruflauten für Hühner (je nach Region verschieden, in Radmilas Fall: "Piju! Piju!") werden die Kinder ins Haus gerufen, mit Kükenlauten stürmen sie an, "picken" die Süßigkeiten vom Boden und vernaschen sie.
Am Land würde jetzt vorzugsweise ein Schwein oder Lamm geschlachtet und am Spieß gedreht. Auf jeden Fall folgt traditionelles Essen - und das ist mehr als üppig: Aufgetischt werden Polenta (warmes Maisbrot), Sarma (mit Reis und Faschiertem gefüllte Krauttaschen), gebratenes Schwein- oder Lammfleisch, Pita und Gibanica (Strudel aus Käse, Spinat und diversen anderen Zutaten) und Pihtije (Schweinesulz). Dazu gibt es jede Menge Kekse, Kuchen und Torten. "Man muss genug kochen, damit viele Leute an diesen Tagen satt werden," erklärt Radmila im Hinblick auf die große Menge der tagelang vorbereiteten Speisen.
Der erste Gast, der am ersten Weihnachtsfeiertag empfangen wird, bringt Glück und hat damit die Ehre den Badnjak (Weihnachtsbaum) anzuzünden. "Wir haben einen Kamin. Am Land wird der Badnjak in der Freiluft für den Grillspieß verbrannt, doch in der Stadt geht das nicht", erläutert Radmila. Manche behalten den Badnjak bis nach Neujahr (dem 14. Jänner).
Doch nicht nur ums Essen dreht sich alles in diesen Feiertagen, sondern um die Geburt Christi. Das drückt die Grußformel aus, die an diesem Tag benutzt wird: "Hristos se rodi!" heißt "Christus wird geboren!". Der Gegrüßte antwortet mit "Vaistinu se rodi!" ("Tatsächlich, Er ist geboren!"). Geschenke sind unter Orthodoxen eher unüblich, vielmehr werden Süßigkeiten an Kinder verteilt und Sljivovica und Wein an alle Gäste als Willkommenstrunk ausgeschenkt. "Es gibt aber viele Familien, die sich dem Westen angepasst haben. Sie stellen schon am 24. Dezember den Christbaum auf und legen Geschenke darunter", sagt Radmila. "Wir machen das wegen der Kleinen auch schon so. Die bekommen in Österreich ja mit, dass schon früher Weihnachten ist. Den Baum schmücken wir gemeinsam vor dem 20. Dezember."
Gebet und Brotteilung
Radmila spricht auch das Gebet am ersten Weihnachtsfeiertag. Dabei treten die Familienmitglieder zusammen und fassen mit beiden Händen das Brot (den sogenannten Weihnachtskuchen). Das Brot, das selbst rund ist, wird drei Mal von allen um sich selbst gedreht und dann gleichzeitig auseinandergerissen. In einem der Stücke befindet sich eine Münze. Manchmal werden in den restlichen Teilen des Brotes noch Weizen oder andere Symboliken versteckt. "Der Finder der Münze wird mit Glück und Reichtum für das nächste Jahr beschenkt", lacht Radmila: "Jedes Jahr gewinnt der jüngere Sohn. Trotzdem hat es noch kein Glück gebracht".
Nach der Aufteilung des Brotes wird zu einem Gebet von jedem Familienmitglied jeweils ein Stück davon gegessen (der Leib Christi) und ein Schluck Rotwein getrunken (das Blut Christi). Es folgen Speis und Trank. Am ersten und zweiten Weihnachtsfeiertag besucht Radmila noch Verwandte und Bekannte, von denen sie ebenfalls reichlich versorgt wird. "Am besten man zieht eine Hose mit Gummibund an", meint sie schmunzelnd.
Bei einigen orthodoxen Christen mischen sich orthodoxe mit hiesigen Traditionen. "Am 6. Jänner gehe ich zum Heiligabend nicht zu meinen Eltern. Und ich faste auch nicht," erzählt die 26-jährige Studentin Lidija mit Wurzeln in Belgrad. "Allerdings gehe ich am Weihnachtsfeiertag zu meinen Eltern zum Essen". Früher, als sie jünger war, wurde sogar am 24. Dezember ein Weihnachtsessen gemacht. Bei Lidijas Eltern zu Hause gibt es neben dem Badnjak unter dem Tisch auch einen geschmückten Christbaum in der Ecke. "Die geschmückte Tanne ist im ehemaligen Jugoslawien ein Symbol für Neujahr und nicht für Weihnachten," erklärt die 26-jährige. Tatsächlich wird eine mit bunten Kugeln und Lametta geschmückte Tanne in ganz Ex-Jugoslawien von allen Menschen, unabhängig von Religion zu Neujahr aufgestellt.
Eine Erhebung des Meinungsforschungsinstitutes Ethnopinion im Jahr 2011 ergab: 62 Prozent der Migranten feiern das Weihnachtsfest wie die einheimische Bevölkerung am 24. und 25. Dezember, 18 Prozent am 6. und 7. Jänner. Viele befragte Personen begehen das Weihnachtsfest im Dezember wie auch im Jänner.