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Ein einziges Ministerium könnte alles ändern

Von Milo Tesselaar

Gastkommentare
Milo Tesselaar ist politischer Entrepreneur. 2016 war er Kampagnenleiter von Irmgard Griss. Von 1. bis 3. Juni veranstaltet er mit dem Europäischen Forum Alpbach das Innovationslabor "Re:think Austria" zum Thema "Demokratie und Beteiligung neu denken". Foto: Maren Jeleff

Demokratie ist dort lebendig und echt, wo frei darüber gestritten werden kann, worin sie besteht.


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In Europa ist die Demokratie auf dem Prüfstand. Vielleicht ist sie teilweise in Gefahr. Das hat viele Gründe. Ein wesentlicher ist: Demokratie leistet nicht, was der Name verspricht. Der Glaube in das demokratische System und seine Institutionen schwindet oft in erschreckendem Ausmaß. Ein Ministerium für Demokratie könnte Abhilfe schaffen.

Es stellt sich die Frage: Wer verantwortet eigentlich unsere Demokratie? In Kanada gibt es dafür schon länger ein Ministerium. In Österreich nicht. Dabei könnte ein solches Ministerium alles ändern - und verbessern.

Ein Bundesministerium für Demokratie wäre für die Weiterentwicklung, Erneuerung und Modernisierung der öffentlichen Institutionen verantwortlich: des Wahlsystems, der öffentlichen Verwaltung, der Verfassung - schlichtweg unseres Staatsgefüges. Für die Beziehung und den Dialog mit den Bürgern. Zur Garantie unserer geistigen Landesverteidigung, also zur Förderung des kritischen und mündigen Bürgers. Zur Festigung des Glaubens an unsere Institutionen. Für die Sicherung von Menschen- und Bürgerrechten sowie der Meinungs- und Medienvielfalt.

In Kanada gibt es seit 2003 "The Minister responsible for Democratic Reform" oder zeitweise auch "The Minister for Democratic Renewal", um das "demokratische Defizit" zu adressieren. Der aktuelle kanadische Premierminister Justin Trudeau schrieb 2015 zum Amtsantritt seiner ersten Ministerin für Demokratische Institutionen, Maryam Monsef: "Als Ministerin sind Sie dafür verantwortlich, dass wir uns für einen neuen Führungsstil in der Regierung einsetzen. Zu Ihren Tätigkeiten gehören eine enge Zusammenarbeit mit Ihren Kolleginnen und Kollegen, eine sinnvolle Beschäftigung mit Mitgliedern der Opposition im Parlament, mit dem Parlamentsausschuss und dem öffentlichen Dienst, ein konstruktiver Dialog mit den Kanadierinnen und Kanadiern, der Zivilgesellschaft und den Interessenvertretern von Unternehmen, gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmern, des breiten öffentlichen Sektors und des gemeinnützigen, wohltätigen Sektors sowie das Erforschen besserer Lösungen und das Vermeiden unnötiger Konflikte."

Was bedeutet ein Demokratie-Ministerium für uns Bürger? Dem Demokratie-Ministerium steht im Idealfall ein Regierungsmitglied vor, das der Entwicklung unseres politischen Systems ein hohes Maß an Aufmerksamkeit beimisst und oberste Priorität einräumt. Das Ministerium garantiert klare politische Verantwortlichkeiten.

Konkrete mittelfristige Effekte davon müssten zum Beispiel sein: mehr und ernsthafte Mitsprache und Teilhabe der Bürger an gesetzgebenden Prozessen, Transparenz statt Amtsgeheimnis, die Modernisierung von Verfassung und Verwaltung, eine Stärkung des Parlament, eine Verbesserung des Wahlrechts, die Förderung zivilen und demokratiepolitischen Engagements durch konstruktiv-kritische und engagierte Bürger sowie eine effektivere Regierungsarbeit.

Keine Weiterentwicklung der Demokratie

SPÖ und ÖVP haben in der Vergangenheit Österreich unter sich aufgeteilt. Demokratie wurde in diesem Kontext - und getragen von konstantem wirtschaftlichem Aufschwung - als eine gegebene und "ausgemachte" Tatsache angesehen. Bedarf und Dringlichkeit eines Bundesministerium für Demokratie und damit die Weiterentwicklung unseres politischen Systems waren für die einzelnen Regierungen bisher nicht offensichtlich. Oder eher: nicht erwünscht.

Eine lebendige Demokratie, an die möglichst alle Bürger eines Landes glauben und an der sich auch möglichst alle aktiv beteiligen, ist harte und kontinuierliche Arbeit. Der Schweizer Politikphilosoph Francis Cheneval meint dazu, man müsse "frei darüber streiten, worin Demokratie besteht".

Demokratie war und ist kein statisches Gebilde, sie ist ein Prozess, der sich laufend verändert. Wie eine Software, die immer wieder Updates erhält. Denn auch das Umfeld und die Umstände einer Demokratie verändern sich laufend, wie etwa wirtschaftliche Entwicklungen, globale Zusammenhänge, technologischer Fortschritt oder Bildungsgrad einer Bevölkerung.

Wir kennen das aus Bürojobs: In jeder Organisation ist der System-Administrator eine unerlässliche Funktion. Es gibt sonst kein stabiles Internet oder keine funktionierenden internen Netzwerke, keine Erneuerung der Infrastruktur, keinen Schutz vor Viren und Hackern, keine Software-Updates, keine Energieeffizienz, kein Erkennen von Einsparungspotenzialen. Und niemand macht sich Gedanken, wie man etwa Open-Source-Anwendungen in das bestehende System integriert.

Das Betriebssystem unserer Gesellschaft ist die Demokratie. Es regelt unser Zusammenleben und garantiert uns allen persönliche Freiheit und Mitbestimmung sowie ein friedliches Miteinander. Dass die Demokratie auf dem Prüfstand steht, ist gut. Es gibt uns die Chance, uns als Gesellschaft weiterzuentwickeln. Um allerdings keinen Rückschritt zu machen, müssen wir vieles ändern. Um unsere Demokratie fortwährend weiterzuentwickeln und zu sichern, braucht es als eine von vielen Maßnahmen möglichst rasch eine verantwortliche Institution und Person, um den Aufgaben eines demokratischen "System-Administrators" nachzukommen. Andernfalls riskieren wir, unsere gewohnte Lebensqualität zu verlieren.