Zum Ende hin sollte es noch ein Mal ein Paukenschlag sein. "Die Europäer haben sechs von zwölf Millionen Juden umgebracht. Aber heute regieren die Juden die Welt durch Stellvertreter", gab der malaysische Ministerpräsident Mahathir Mohamad (77) Mitte Oktober vor einer islamischen Konferenz zu Protokoll - und der Eklat war perfekt, der Westen zeigte sich entsetzt. Wenn der dienstälteste Regierungschef Asiens heute nach 22 Jahren sein Amt an Abdullah Ahmad Badawi (63) weitergibt, tritt eine der umstrittensten Figuren dieser Weltregion von der politischen Bühne ab. Sich selbst sah er indes als Visionär.
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Starke Worte, kühne Projekte: Dass sich mit ihrem neuen Ministerpräsidenten eine Zeitenwende verbinden sollte, merkten seine Landsleute schnell nach dem Amtsantritt. Denn das südostasiatische Land sollte weg vom Status des bettelarmen Lieferanten von Rohstoffen wie Palmöl, Kautschuk und Zinn, sein Dasein als verlängerte Werkbank Japans hinter sich lassen, postulierte der Mediziner. Worten folgten Taten, je eindrucksvoller, desto besser.
Bald liefen Autos und Computer vom Band. Die Petronas-Towers in der Hauptstadt Kuala Lumpur waren mit 452 Metern lange Zeit der höchste Wolkenkratzer der Welt. Die High-Tech-Stadt Cyberjaya, eine Art asiatisches Silicon Valley, und die funkelnde Verwaltungsstadt Putrajaya folgten. Der Flughafen von Kuala Lumpur ist so groß wie er oft leer ist. In Sichtweite erstreckt sich ein Formel-1-Parcours. Zwar scheint manches eine Nummer zu groß und zu prächtig geraten. Doch sind Mahathirs Verdienste um die Industrialisierung und Entwicklung des inzwischen rund 23 Millionen Einwohner zählenden Landes selbst unter seinen Kritikern so gut wie unumstritten.
Das Streben nach Ansehen und Erfolg mag in seiner Herkunft aus einfachen Verhältnissen wurzeln - als Sohn einer armen Lehrerfamilie im ländlichen Staat Kedah. Zunächst als praktizierender Arzt in Singapur tätig, betrat er 1964 die politische Bühne Malaysias.
Ein Mann starker Worte
Gerade dem Westen lieferte der Aufsteiger immer wieder Anschauungsunterricht seines Selbstbewusstseins. Zu Zeiten der Wirtschaftskrise in Asien 1997/98 brannte er ein Feuerwerk öffentlicher Schmähungen ab: Man erinnert sich an Ausfälle gegen Devisenhändler ("unmoralisch") oder den Finanzier George Soros ("schwachsinnig"). Als sich der jüngste Irak-Krieg zusammenbraute, witterte er "einen neuen Akt der Diskriminierung" gegen Muslime, falls die USA Saddam Hussein anders behandeln sollten als Nordkorea.
Wie Mahathir, der sich gerne "Dr. M" nennen lässt, mit politischen Gegnern umzuspringen pflegt, machte er an seinem früheren Stellvertreter Anwar Ibrahim deutlich: Der hatte allzu provokant eine andere Wirtschaftspolitik verlangt und Korruption angeprangert. Die Folge: 15 Jahre Haft für den gefallenen "Kronprinzen" wegen angeblichen Amtsmissbrauchs und homosexueller Kontakte.
"Letztendlich wird Mahathir als großer politischer Führer in Asien beurteilt werden", befindet das renommierte Magazin "Far Eastern Economic Review" (FEER). "Aber sein Vermächtnis wird auch geprägt sein von seinen kompromisslosen Ansichten und der Art, wie er den demokratischen Institutionen Malaysias eine autoritärere Form gegeben hat."
Was von Nachfolger Abdullah Ahmad Badawi zu erwarten sein wird, liegt zu großen Teilen im Dunkeln. "Wir können nur raten, weil Abdullah sich sehr verschlossen über seine künftige Politik gibt", berichtet ein Kenner der politischen Szene in Kuala Lumpur. In Malaysia wird er als "Mr. Nice Guy", als netter Kerl, gehandelt - und als Technokrat mit starkem muslimischen Hintergrund. Das könnte hilfreich sein bei zwei der größten Herausforderungen für Malaysia: Den stärker werdenden Islam zu bändigen sowie die Wirtschaft auf Veredlung, Dienstleistung und Entwicklung zu trimmen, da China das Geschäft der Fertigung inzwischen weit billiger versieht.
In einem ist man sich zumindest sicher: Der malaysische Premier wird künftig wohl nicht mehr so häufig die Quelle deftiger Kommentare sein. "Wenn man sie zu Mahathirs Nachfolger befragt, zeigen sich viele Malaysier glücklich, dass der nächste Ministerpräsident ruhiger und weniger umstritten sind könnte", schreibt die FEER.