Noch tobt der Kampf um die Inhalte des Entwurfs, den der europäische Verfassungskonvent am 20. Juni den Staats- und Regierungschefs der EU bei ihrem Gipfel in Griechenland vorlegen soll. Mit diesem "Endspurt" ist das Ringen um die Verfassung aber noch lange nicht entschieden, sondern geht im Herbst weiter: Dann nämlich werden, nach der quasi "öffentlichen Verhandlung" im Konvent, die Regierungen über den endgültigen Text hinter verschlossenen Türen weiter beraten. Und selbst wenn dann ein Konsens gefunden wird, wartet noch die Hürde der Ratifizierung in den einzelnen Ländern.
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Zur Zeit steht noch die Suche nach Kompromissen auf dem Programm: Gestern konferierte die französisch-italienisch-belgische Konventsspitze (Valéry Giscard d' Estaing, Giuliano Amato, Jean-Luc Dehaene) in "individuellen Konsultationen" mit Europaabgeordneten, Regierungsvertretern und Kommissaren über einen Konsens in der umstrittenen Institutionenreform. Bereits jetzt kommen aber auf nationaler Ebene schon Querschüsse gegen bereits ausgehandelte Kompromisse: So vermisst CSU-Landesgruppenchef Michael Glos nicht nur - so wie der Vatikan - den fehlenden Gottesbezug in der Präambel, sondern auch eine hinreichende Abgrenzung von Kompetenzen und den Verzicht auf EU-Steuern. Er droht mit einem Veto gegen den Verfassungsentwurf.
Das irische Konventmitglied John Bruton warnt denn auch seine Kollegen vor einer "akademischen Übung" - allzu leicht könnte die erzielte Einigung noch von nationalen Interessen über den Haufen geworfen werden.
Der Ire weiß, wovon er spricht, musste doch gerade in seinem Land das Referendum über den Nizza-Vertrag wiederholt werden. Im ersten Anlauf hatten ihn die Iren noch abgelehnt. Trotzdem soll auch die Verfassung dem Volk zur Abstimmung vorgelegt werden.
Ähnlich die Situation in Dänemark, wo Premier Anders Fogh Rasmussen für eine Volksabstimmung eintritt. Rechtsexperten warnen allerdings davor, dass die Verfassung der EU jener der Dänen widersprechen könnte. Ein Referendum könnte sich überdies als Eigentor für die Regierung erweisen - vor zehn Jahren waren zwei Urnengänge nötig, um einen Kompromiss zum Maastricht-Vertrag zu erreichen. Die damals errungenen Privilegien (Ausnahmereglungen zu Währungs-, Verteidigungs-, Justiz- und Staatsbürgerschaftspolitik) würden mit einer EU-Verfassung auf dem Spiel stehen.
Andere Nationen haben zur Frage einer Volksabstimmung noch keine offizielle Meinung, viele deuten aber die Möglichkeit an, die Frage der endgüligen Ratifizierung dem Volksentscheid zu überlassen. Neben Frankreich, Italien und Portugal zählt auch Österreich zu diesen Ländern. Der heimische Regierungsvertreter im Konvent, Hannes Farnleitner, macht die endgültige Haltung allerdings von dem Ergebnis des Konvents abhängig.
In der Konventssitzung in der Vorwoche hat sogar eine klare Mehrheit der Delegierten, unter ihnen Vizepräsident Amato, dafür plädiert, ein Referendum in ganz Europa zur gleichen Zeit abzuhalten. Strikt gegen eine Abstimmung über die Verfassung war allerdings bisher der britische Premier Tony Blair. Während er in Brüssel um Details wie Ratspräsidentschaft und Zuständigkeit in Asyl- und Sozialpolitik streitet, erwartet ihn an der Heimatfront eine nach eigenen Worten "große Schlacht". Nicht nur die Partei der Konservativen, auch die rechte Presse macht gegen die Verfassung mobil. Die Befürchtungen um die Souveränität des Inselstaates werden teilweise auch mit Schauergeschichten kräftig geschürt.
"Entwurf für die Tyrannei" nennt die Zeitung "Daily Mail" die Pläne des Konvents. In der gleichen Zeitung wurde auch eine Umfrage veröffentlicht, wonach 51 Prozent der Briten eher einen EU-Austritt ihres Landes als die Abgabe weiterer Kompetenzen nach Brüssel in Kauf nehmen würden. Die europäische Verfassung fand nur bei 29 Prozent Zustimmung. Ob Befürworter oder Gegner, die klare Mehrheit will die Entscheidung jedenfalls nicht dem Parlament überlassen, sondern sie selbst treffen - 75 Prozent sind für ein Referendum.
Angesichts solcher Probleme scheint die Verabschiedung einer europäischen Verfassung noch in weiter Ferne. Im Giscard-Entwurf heißt es nämlich: "Falls nach Ablauf von zwei Jahren nach der Unterzeichnung des Vertrags über die Verfassung vier Fünftel der Mitgliedstaaten den genannten Vertrag ratifiziert haben und in einem oder mehreren Mitgliedstaaten Schwierigkeiten bei der Ratifikation aufgetreten sind, so befasst sich der Europäische Rat mit der Frage." Dann heißt es womöglich: Zurück an den Start.